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Auch die Landespolitik wird von Integrationsfragen geprägt

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Auch die Landespolitik wird von Integrationsfragen geprägt

Vor dem Hintergrund der nahezu allgegenwärtigen Diskussion um „Sarrazin“ entwickelt sich zur Zeit in Bayern eine eigenständige Debatte um Migrationsfragen, in der am Montag einige Eckpunkte gesetzt wurden. Sozialministerin Christine Haderthauer und Innenminister Joachim Herrmann stellten einen Projektbericht zur Entwicklung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Bayern bis 2020 vor. Deren Anteil wird demnach bis dahin auf ein Viertel ansteigen. Neben den dazu aktuell getroffenen politischen Feststellungen stehen jedoch auch weitere Vorgänge und Statements, die auf eine in diesem Herbst zu erwartende breite politische Auseinandersetzung zum Thema hinweisen.

Projektbericht liefert Ausgangszahlen

Die Statistiker erwarten, dass die bayerische Bevölkerung in den nächsten zehn Jahren um 1 Prozent auf 12,7 Millionen Einwohner wächst. Dabei wird die Anzahl von Personen mit Migrationshintergrund um rund 23 % auf 3 Millionen anwachsen, der Anteil ohne Migrationshintergrund hingegen um 4 % auf 9,7 Millionen schrumpfen. Die Ursachen werden im relativ jungen Alter und in der etwas höheren Geburtenrate bei Menschen mit Migrationshintergrund gesehen.

„Die Zahlen belegen für mich ganz klar: Für eine weitere Zuwanderung in unser Land besteht keinerlei Bedarf. Vielmehr muss im Vordergrund die Integration der bereits hier lebenden Migranten stehen.“ Innenminister Joachim Herrmann sieht darin eine große Herausforderung und verweist auch auf Gruppen von Migranten, die aufgrund ihres kulturellen und religiösen Hintergrunds erhebliche Probleme haben, sich in Deutschland zu integrieren. Dies zu sagen gehöre zur politischen Ehrlichkeit. Auf jeden Fall müsse man am Problem arbeiten.

Der Bericht zeige deutlich, dass unsere Gesellschaft stark durch Einwanderung geprägt sei. Sozial- und somit auch Integrationsministerin Christine Haderthauer folgert daraus zuerst, dass hier „zielgenau unsere Integrationspolitik“ ansetzen müsse, um eine bestmögliche Integration unserer Zuwanderer sicherzustellen. Doch während Haderthauer auf eine relativ gute Ausgangsbasis in Bayern mit einer gelungenen Integration „der Mehrheit der Migranten“ verweist, liest Herrmann aus den Zahlen, dass mit der prognostizierten Verjüngung des Migrantenanteils diese noch stärker als bisher an der Jugendkriminalität beteiligt sein würden.

Grüne kritisieren „reflexhafte Abwehrhaltung“

Die Grünen kritisieren dies als „reflexhafte Abwehrhaltung“ und Vorverurteilung durch den Innenminister. Ihre asyl- und migrationspolitische Sprecherin Renate Ackermann behauptet, dass die bisherige und von Hermann weiter beabsichtigte restriktive Politik „zur derzeit vorherrschenden schlechten Integration“ geführt habe. „Erst Probleme verdrängen und nachher die Thesen Sarrazins zu diskutieren“ wie Hermann ist auch für den integrationspolitischen Sprecher der Freien Wähler, Günther Felbinger, die falsche Reihenfolge. Die CSU solle endlich ihre Hausaufgaben machen, und „die Folgen der Einwanderung besser managen“.

Felbinger wie auch fast alle anderen Politiker sehen den Schlüssel in der Vermittlung und Beherrschung der deutschen Sprache. Dem solle man „verbindlichere Aufmerksamkeit“ widmen. Und wenn Kultusminister Ludwig Spaenle hierzu feststellt, dass Bayern ja „seinen Willen bekräftigt“ habe, mit Konzepten zur Sprachförderung von Kindern aus Zuwandererfamilien, werden andererseits Stimmen laut, die nach einer Evaluierung solcher Anstrengungen fragen. Es nütze auch beispielsweise nichts, so Felbinger, „Klassen erst dann zusätzliches Lehrpersonal zu gewähren, wenn mindestens die Hälfte der Klasse aus Migrantenkindern besteht“.

Integration kostet nicht nur guten Willen sondern auch Geld

Dieser Hinweis trifft wie viele andere den Kern. Integration kostet nicht nur guten Willen von beiden Seiten, sondern auch Geld. Öppositionsfraktionen oder auch Lehrerverbände wie der BLLV drängeln mit konkreten Forderungen. Ob bessere Sprachförderung, Sport oder längerer gemeinsamer Unterricht – letztlich bringt es alles auf den von der SPD-Abgeordneten Isabell Zacharias formulierten Nenner: „Wir müssen ausnahmslos allen Kindern und Jugendlichen in Bayern Chancengleichheit und gerechte Teilhabe bieten. Jedes Kind muss individuell gefördert werden, und das bereits im frühen Alter.“

Das alles wissen und wollen – vielleicht auf anderem Wege – auch die Bildungs- oder Sozialpolitiker in CSU- und FDP-Reihen. Nur wird da nicht gefordert. Bei Spaenle liest es sich so: „Ein Konzept des Ministers sieht auch die Stärkung interkultureller Kompetenzen bei allen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften vor.“ Was davon nach den Haushaltsberatungen übrig bleibt, wird man sehen. Dabei schlug die Opposition beispielsweise zu diesem Thema längst Lösungen vor. Wie den Einsatz dieser interkulturellen Kompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund vor Ort.

Integrationsbeauftragter fordert mehr Erziehungskompetenz der Eltern

Dass viele bestehende Angebote gar nichts nützen können, wenn Eltern nicht mitziehen oder überfordert sind, darauf wies heute auch der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung hin. Martin Neumeyer (CSU) erinnerte an den Fall „Mehmet“. Waren und sind dessen überforderte Eltern Ausnahme oder „trauriger Alltag“? Weg von diesem Extrembeispiel stellt der Integrationsbeauftragte eine ganz andere Frage: Wer von ihnen weiß, dass es in Bayern 15 Wege zum Abitur gibt? Auch so eine Tücke des durchlässigen Schulsystems. Aber Neumeyer will das Ganze ja keineswegs auf den schulischen Bereich beschränken. Die Problematik zieht sich durch den ganzen Migrantenelterntag. An das Ende seiner Überlegungen stellt der Integrationsbeauftragte denn auch die allgemeine Forderung nach Maßnahmen zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern.

Zur Integrationslyrik kräftig beigetragen hat jetzt auch die FDP. Die Landesvorsitzende, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellte vergangenen Freitag ein Papier vor, das nach der Winterklausur von einer Arbeitsgruppe erarbeitet und jetzt wegen der Sarrazin-Debatte schneller als vorgesehen vorgestellt wurde. Neben anspruchsvollen Passagen wie die notwendige Schaffung eines „Wir-Gefühls“ als Fundament für Integration stehen verpflichtende Forderungen wie das kostenfreie letzte Kindergartenjahr oder auch der schon oben erwähnte Ruf nach einer Evaluierung des Projekts „Sprachberatung in Kindertageseinrichtungen“ und gegebenenfalls dessen Fortführung über 2011 hinaus.

Das Papier liest sich sehr schön, was keineswegs abwertend gemeint ist. Es trägt liberale Grundzüge wie die Ablehnung eines staatlichen Verbots von Burkas oder Niqabs. Eine Vollverschleierung sei zwar ohne Zweifel integrationshemmend und kaum mit unserem Verständnis von Emanzipation vereinbar. Doch ein Verbot würde den betroffenen Frauen nicht helfen, sondern sie – kontraproduktiv – aus dem öffentlichen Raum drängen. Mit solcher Symbolpolitik habe die FDP nichts am Hut, mit dem Nötigungsparagraphen gebe es zudem längst ein wirksames Instrument gegen eine Zwangsverschleierung.

Die FDP gibt sich sehr viel Mühe mit ihrer umfassenden Betrachtung. Es stellt neben die wirtschaftliche und auch demographische Notwendigkeit von Zuwanderung auch Überlegungen zu einer „menschlichen Asylpolitik“. Hier beanspruchen die Liberalen auch die Durchsetzung der Lockerung der Residenzpflicht in Bayern für sich. Auch sei auf ihr Betreiben hin der Bayerische Integrationsbeauftragte installiert worden. Und genauso forsch soll wohl auch ein „Integrationsgesetz für Bayern“ in Angriff genommen werden. Die solizialpolitische Sprecherin und Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag, Brigitte Meyer, soll daran schon arbeiten.

Ein hochrangiges Ziel – wenn es denn nicht dazu missbraucht wird, anstehende Haushaltsentscheidungen verschieben zu können. Daneben blicken alle auf die CSU-Landtagsfraktion. Die hat bei Licht besehen, fast alle eigentlich anstehende Entscheidungen auf die Zeit nach ihrer breit angelegten Bürgerbefragung vertagt. Spätestens zum Abschluss ihrer Klausur in zwei Wochen ist sie auch in Sachen Integration gefordert.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

12. September 2010 um 16:24h

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