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Studiengebühren: Freie Wähler setzen Volksbegehren durch

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Steter Tropfen höhlt den Stein. Nach einer langen Reihe gegenläufiger Urteile setzte sich dieses Mal der Artikel 72 der Bayerischen Verfassung gegen den ihn einengenden Artikel 73 durch. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat mit einem gestrigen Urteil den Freien Wählern recht gegeben, wonach ein Volksbegehren für die Abschaffung von Studiengebühren nicht im Widerspruch zu Artikel 72 BV steht. Diese Gebühren, so der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Karl Huber, „fließen nicht in den allgemeinen Haushalt“, sondern seien Durchlaufposten, über deren Verwendung das Wissenschaftsministerium in Rahmen seines eigenen Haushalts entscheiden könne. Zur Entscheidung liegen Sondervoten zweier Richter vor, die ein solches Volksbegehren als verfassungswidrig einstufen. Inwieweit die Freien Wähler mit ihrem Vorstoß dazu beigetragen haben, dass künftig das Spektrum möglicher Plebiszite erweitert wird, ist noch offen.

SPD und Grüne: Mit Freien Wählern in notwendiger Abschaffung immer einig

SPD und Grüne im Landtag hatten sich der Klage der Freien Wähler gegen die Nichtgenehmigung des Volksbegehrens durch das Bayerische Innenministerium nicht angeschlossen. Angeblich wegen erwarteter Aussichtslosigkeit der Klage. Die Grünen mit ihrer hochschulpolitischen Sprecherin Ulrike Gote und der Landesvorsitzenden Theresa Schopper freuten sich nun „ über mehr direkte Demokratie in Bayern“. Die gesamte Spitze der bayerischen SPD mit Christian Ude, Florian Pronold, Markus Rinderspacher und Natascha Kohnen gratulierte den Freien Wählern zum Erfolg. In der Sache selbst, der notwendigen Abschaffung der Studiengebühren, sei sich die gesamte Opposition immer einig gewesen.

Freie Wähler: Staatsregierung soll jetzt von sich aus die Gebühren abschaffen

Große Freude naturgemäß auf Seiten der Freien Wähler, deren Initiator, der hochschulpoitische Sprecher, Prof. Michael Piazolo, von einem „guten Tag für die Interessen der Studierenden im Freistaat“ sprach. Er hoffe auf ein baldiges Ingangsetzen des Volksbegehrens, fände jedoch, dass „die Abschaffung der Studiengebühren auch direkt durch die Bayerische Staatsregierung vorgenommen werden könnte, um ein deutliches Signal gegen eine weitere Abwanderung bayerischer Studenten in andere Bundesländer zu setzen“. Die CSU-Fraktion im Landtag sieht mit ihrem hochschulpolitischen Sprecher Oliver Jörg dem Volksbegehren „mit dem gebotenen Respekt vor den Möglichkeiten der direkten Demokratie“ entgegen. Jetzt seien die BürgerInnen gefragt, „ob die Kosten der Akademikerausbildung zu 100 Prozent von den Steuerzahlern getragen werden sollen oder ob auch die Studierenden zu einem geringen Teil an den Kosten beteiligt werden“.

Einhellig begrüßt wurde die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom DGB Bayern (DGB-Chef Jena: „Bayerische Universitäten dürfen keine Eliten unter sich bleiben“), den Piraten, die ein eigenes Volksbegehren mit dieser Zielrichtung initiiert hatten, und den Linken (MdB Nicole Gohlke, Landesvorstandsmitglied sowie hochschulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Bundestag: „Studiengebühren sind unsozial und ein Konzept von gestern.“).

Wissenschaftsminister begrüßt verfassungsrechtliche Klarstellung

Der Bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch begrüßte „die verfassungsrechtliche Klarstellung der bislang so nicht entschiedenen Rechtsfrage“. Nun könnten die Bürger entscheiden, ob sie eine rein steuerfinanzierte Hochschulbildung befürworten oder ob sie es für angemessen halten, wenn die Studierenden einen geringen Anteil der Kosten des Studiums mitfinanzieren.

Unterschiedilche Auffassungen bei RCDS und ASTA

Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) in Bayern steht weiter fest zu den Studienbeiträgen, erklärt Landesvorsitzende Carmen Langhanke heute nach der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes in München. „Das war kein guter Tag für Bayerns Hochschulen! Eine gewisse Planungssicherheit ist für die Hochschulen unerlässlich. Diese ist nun dahin!“ „Die bayerischen Studierenden“ hingegen begrüßen das Urteil. Franziska Traube, Sprecherin der LAK (Landes-ASten-Konferenz) Bayern, erklärte dazu: „Unser jahrelanger Kampf gegen die Studiengebühren wird mit diesem Urteil auf die nächste Stufe gehoben. Die vielen tausend Unterschriften im Vorfeld haben schon gezeigt, dass Gebühren im Bildungsbereich alle Bürgerinnen und Bürger betreffen und beschäftigen vor allem Familien. Die Studierenden in ganz Bayern stehen nun vor der Herausforderung, ihr Anliegen erneut in die breite Öffentlichkeit zu tragen.”

Mehr Demokratie“ erwartet erweiterte Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung

Als erfreulich und zukunftsweisend sieht „Mehr Demokratie“ das Urteil vor allem mit Blick auf die künftige Zulassungspraxis bei Volksbegehren. Das Gericht sähe keine Einwirkung des Volksbegehrens auf den Haushalt und öffne damit die Tür für Einzelabwägungen bei Volksbegehren die mit Finanzfragen in Zusammenhang stehen. „Die Mehrheit aller Gesetze im Landtag betreffen in irgendeiner Form den Haushalt. Eine echte Mitwirkung mittels Volksbegehren und Volksentscheiden hat zwangsläufig auch die Befassung mit haushaltsrelevanten Themen zur Folge. Sind diese von vornherein unzulässig steht eine gute Möglichkeit der Bürgerbeteiligung in Frage. Wird jedoch der Einzelfall genau betrachtet und von Fall zu Fall entschieden kann der Handlungsspielraum der Bürger erweitert werden“, erläutert Susanne Socher, Sprecherin des Mehr Demokratie Landesverbands Bayern.

Das Bayerische Innenministerium teilte mit, dass es nunmehr das zugelassene Volksbegehren entsprechend den gesetzlichen Vorgaben innerhalb der nächsten vier Wochen (bis spätestens 19. November 2012) im Staatsanzeiger bekannt machen und die 14tägige Eintragungsfrist festsetzen wird, die frühestens acht, spätestens zwölf Wochen nach der Veröffentlichung im Staatsanzeiger beginnt. Minister Joachim Herrmann will heute dem Kabinett zu Urteil und weiterem Vorgehen bzw. Verfahren berichten.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

23. Oktober 2012 um 19:56h