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Freie Wähler in Klausur: Weiter auf Sachkurs bei erhöhter politischer Beachtung

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Trotz aller Unkenrufe und mancher Irritation – die Freien Wähler gehen im fünften Jahr ihrer Landtagszugehörigkeit politisch gestärkt in die letzte Winterklausur dieser Legislaturperiode. Nachdem sich der die Sacharbeit verschleiernde Rauch um ihre europapolitischen Standpunkte etwas verzogen hat, schimmerte schon am ersten Tag der Klausur in Landshut wesentliches von ihrer ursprünglichen Kompetenzebene durch. Daneben wird die Fraktion getragen von ihren besonders die breite Öffentlichkeit überraschenden Erfolgen in der Frage der Studiengebühren und im „Fall Mollath“. Ihr sich Offenhalten in der Koalitionsfrage muss als umstritten gelten, ist letztlich aber konsequent.

Starke Themen angekündigt – Handwerk bestimmt die Tagesordnung

Dass Vorsitzender Hubert Aiwanger vor Beginn der Klausur starke Themen wie Kampf gegen die driite Startbahn und Donaustaustufen oder allgemein eine notwendige Stärkung des ländlichen Raums thematisch hervorhob, diente zuallererst einer erhoffen Erregung von Aufmerksamkeit. Der Blick in die Tagesordnung und die ersten Pressemitteilungen zur Klausurarbeit zeigen ein anderes Bild. Die Situation mittelständischer Unternehmen in Bayern, wie bewältigen die Genossenschaftsbanken in Niederbayern die Eurokrise, Energiewende und bayerischer Arbeitsmarkt – darüber diskutieren die Abgeordneten mit meist regionalen und lokalen Experten.

Da tauchen Bürgernähe vermittelnde Namen auf wie Georg Schlagbauer, Landesinnungsmeister und Vizepräsident des Deutschen Fleischerhandwerks. Mit ihm diskutierten die mittelstandspolitische Sprecherin Jutta Widmann und der handwerkspolitische Sprecher Markus Reichhart über Auflagen einer mächtigen Lebensmittelindustrie, die von den kleineren Betrieben vor Ort – und zu denen die Leute gehen wollen bzw. müssen – kaum zu erfüllen sind. Die Rede ist vom, von den Freien Wählern grundsätzlich abgelehnten unkontrollierten Internetpranger, dem der Fleischer und andere Handwerksbetriebe ziemlich hilflos ausgesetzt sind.

Der Fleischer um die Ecke und die EU

Eingeladen war auch Margit Niedermaier, Vorsitzende des Landesverbands der Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH), zur Situation mittelständischer Betriebe. Thema: überbordende Bürokratie durch Brüssel, die dem Handwerk Steine in den Weg legt. Widmann plädiert für eine Überprüfung solcher Verordnungen durch ein unabhängiges Kontrollgremium, denn es könne nicht sein, „dass diejenigen, die ein Gesetz machen, auch dessen Auswirkungen überprüfen“. Jedes Gesetz der EU solle auf seine Kompatibilität und Verträglichkeit für die mittelständischen Firmen und Betriebe überprüft werden.

Die Freien Wähler haben nicht vergessen, wo die ihre Wählerschicht interessierenden und berührenden Themen liegen. Das passt auch zu ihrer weniger beachteten aber offenbar wirksamen Strategie, vor allem auf regionalen Messen den Besuchern und Ausstellern die Arbeit der Fraktion nahe zu bringen. Das wird gezielt und sehr professionell vorangetrieben. Der verantwortliche Fraktionsmitarbeiter hat sein Handwerk unter anderem bei der CMA gelernt. Wer Filmtrailer oder Prospektmaterial genau anschaut merkt, dass zur Herstellung nicht irgendwelche Abgeordneten-Spezln herangezogen wurden, sondern Profis am Werk waren. Ebenso bemerkenswert sind der die Pressearbeit begleitende Internet-Auftritt und die Präsentation von Pressezuarbeit geworden.

Genossenschaftsarbeit – das Zukunftsthema für die Freien Wähler?

Auf der heutigen Tagesordnung steht u.a. ein Vortrag zum Thema „Situation der Genossenschaftsbanken in der Finanzkrise und der Debatte um Bankenunion und Bankenaufsicht“ durch Matthias Steck, Vorstand der VR-Bank Landshut. Auch dies vermittelt allein durch den örtlichen Bezug Bürgernähe. Interessant dabei dürfte sein, inwieweit in der Diskussion die durch den Bayerischen Zukunftsrat angeregte Förderung des Genossenschaftswesens eine Rolle spielt. So richtig heran gewagt an das Thema hat sich noch keine Landtags-Fraktion. Die Freien Wähler sind dem vermutlich schon am ehesten nahe gekommen. Insbesondere im Zusammenhang mit dem zweiten Hauptthema des Tages, der Energiewende. Genau dort plädiert Aiwanger schon seit geraumer Zeit dafür, dass der Bürger durch – finanzielle, sprich genossenschaftliche – Beteiligung an der regionalen Energieerzeugung zum Mitverdiener wird.

Ebenfalls auf der Tagesordnung steht heute die Abschaffung der Studiengebühren mit Blick auf eine auch aus Gerechtigkeitsgründen kostenfreie Meisterausbildung. Mit dem Thema haben die Freien Wähler vertreten durch ihren wissenschaftspolitischen Sprecher Prof. Michael Piazolo mit ihrer erfolgreichen Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof überraschend politisch punkten können. Nur selten war eine Koalitionsregierung so in Verlegenheit und an den Rand einer Auflösung gebracht worden, wie durch diese richterliche Entscheidung, ein Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren zuzulassen.

Studiengebühren und Altersgrenze – Ackern vor den Verfassungsrichtern

Auch bei einem weiteren öffentlichkeitswirksamen und vor dem Verfassungsgerichtshof anhängigen Thema bleibt die Fraktion am Ball. Der FW-Abgeordnete Bernhard Pohl treibt die Klage gegen die Altersgrenze für kommunale Wahlbeamte wie Bürgermeister und Landräte weiter, nachdem die SPD mit ihrem Begehren durchaus umstritten bei den Verfassungsrichtern keinen Erfolg hatte. Für die für das grundlegende Gesetz verantwortliche CSU wäre es der Super-GAU, wenn die Freien Wähler mit neuen, auf das Urteil eingehenden Argumenten noch vor den Wahlen Erfolg hätten.

Ein weiteres politisch gewordenes Thema beschäftigt nur am Rande die Klausur, es sind die Umstände, wie ein Bürger des Freistaats durch Gerichtsbeschluss in die Psychiatrie eingewiesen worden war. Nachdem der „Fall Mollath“ zwar immer wieder im Laufe der mittlerweile sieben vergangenen Jahre hochgekocht war und auch den Landtag und das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hatte, packte der Abgeordnete Florian Streibl den Fall an entscheidenden Stellen an. Mittlerweile wurde dadurch auch die Justizministerin Beate Merk derart in die Enge getrieben, dass ihr politisches Überleben in Frage gestellt werden könnte. Der damals entscheidende Amtsrichter in Nürnberg – und auch ein veranwortlicher Klinikarzt – sehen sich seit Beginn der Woche einer Anzeige wegen Freiheitsberaubung ausgesetzt. Veranlasst wurde sie von einem, Mollath jetzt vertretenden Juristen aus Hamburg. Der Spezialist Dr. Gerhard Strate war übrigens vor wenigen Monaten zu einer Spezialfrage des Falls durch Streibl zur Begutachtung herangezogen worden. Mit der Prüfung eines Wiederaufnahmeverfahrens befasst sich inzwischen das Landgericht Regensburg.

Politisch auffällig ist, wie beharrlich Streibl die Auseinandersetzung durch die Landtagssitzungen trieb. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist inzwischen nicht nur aus seiner Sicht unvermeidbar geworden. Es wäre ein grober Fehler, Streibl ob seiner leisen Art zu unterschätzen. Beim Parlamentarischen Geschäftsführer der Freien Wähler-Fraktion scheint das Streibl-Gen durchzuschlagen. Sein Vater war als Finanzminister ähnlich beharrlich („das bayerische Tafelsilber wird nicht verkauft!“) und einer der wenigen, die sich wirklich trauten, sich mit Franz Josef Strauß zu zoffen. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Streibl-Familie nie vergessen hat, wie die CSU beim erzwungenen Rücktritt des späteren Ministerpräsidenten Max Streibl mit diesem umgesprungen war.

Nach wie vor – die Koalitionsfrage stellt sich nicht für die Freien Wähler

Das ist möglicherweise auch ein kleiner Baustein neben den anderen grundsätzlichen Animositäten Aiwangers gegen die CSU, warum ein Zusammengehen mit der größten Landtagsfraktion erschwert bzw. belastet war und vielleicht noch ist. Dass Aiwangers Partei, Wählergemeinschaft, Fraktion oder was auch immer sich in der Koalitionsfrage alle Optionen offen hält, ist legitim und wird konsequent vertreten, ist vielleicht aber ungeschickt. Die Grünen beispielsweise, die sich vor wenigen Tagen unerwartetem Werben von CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer ausgesetzt sahen, wehrten ein Zusammengehen – allerdings mit der Seehofer-CSU! – postwendend ab. Sie wollten ihrer Wählerschaft eine klare Orientierung geben. Solches könnte, muss aber nicht manchem potentiellen oder schwankenden Sympathisanten der Freien Wähler fehlen.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

09. Januar 2013 um 15:25h

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