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Barrierefreiheit: Inhaltliche Auseinandersetzung und Kampf ums Geld beginnen

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Bayern – wie die anderen Länder auch – hat besorgniserregende Altlasten, bewältigt Mammutaufgaben und steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die Infrastruktur des Flächenstaates insbesondere mit seinem weitverzweigten, inzwischen ziemlich maroden Straßennetz bröckelt vor sich hin. Die Versorgung mit zeitgemäßen Datenautobahnen kann man längst nicht mehr als Zukunftsaufgabe bezeichnen. Man darf lediglich und allem Anschein nach nicht unberechtigt darauf hoffen, dass der nunmehr hauptverantwortliche Minister Dr. Markus Söder zumindest die richtige Autobahnauffahrt findet – von einem Einbiegen auf eine Überholspur mag wohl niemand reden. Zu den in etwa gleichem finanziellen Aufwand sich bewegenden neueren Zukunftsaufgaben Bayerns gehört die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum.

2023 – so prognostizierte Horst Seehofer in seiner Regierungserklärung vom 12. November 2013 – werde der Freistaat in seinen Grenzen Mobilität für alle ermöglichen. Für das Erreichen dieses Ziels, dessen Ende ziemlich exakt auch den Zeitpunkt der geplanten übernächsten Landtagswahl trifft, kündigte der Ministerpräsident ein staatliches Sonderinvestitionsprogramm an. Dieses wird, so bekräftigte und erläuterte jüngst (u.a. PM 079.14) Sozialministerin Emilia Müller derzeit ressortübergeifend erarbeitet. Dieses solle unter anderem „die Kommunen dabei unterstützen, Barrierefreiheit zu realisieren“.

Städtetag: Bayernplan 2023 ist „unausgereift und unterfinanziert“

In der Münchner Prannerstrasse, beim Bayerischen Städtetag, läuteten die Alarmglocken. Der Geschäftsführer des Kommunalen Spitzenverbands, Bernd Buckenhöfer, erinnerte daran, dass wer große Ziele verspreche, auch die Finanzierung nicht ausblenden solle. Dieser Bayernplan sei „unausgereift und unterfinanziert“. Das klingt sehr voreilig, denn er wird ja erst erarbeitet. Aber Müller hatte zumindest eine vergleichende Größenordnung zugeliefert – und der frühere Finanzchef des Städtetags kann rechnen. Bei der finanziellen Gleichstellung der Ministerin mit dem Breitbandausbau kämen auf den Freistaat in zehn Jahren ca. 1,5 Milliarden Euro für die Barrierefreiheit zu. Gleichzeitig habe die Ministerin angekündigt, für den anstehenden Doppelhaushalt 2015/16 dafür 20 Millionen Euro zu beantragen. Buckenhöfer: „Ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

Genau auf diesen Nenner brachten auch SPD und Grüne im Landtag diesen Sachverhalt. 150 Jahre bräuchte die Ministerin bei diesem Schneckentempo, spottete SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Gleichzeitig verwies er aber auch darauf, dass, wenn Müller spare, „horrende Summen“ auf das Innenressort zukämen. Über die Innenminister Joachim Herrmann „verständlicherweise noch gar nicht reden möchte!“. Tatsächlich hatte Hermann in seiner kürzlichen Regierungserklärung „Starke Kommunen – Starkes Bayern – Starke Zukunft“ das Thema Barrierefreiheit nur gestreift, so, als könne er sich die Finger verbrennen.

Der wahre Superminister dürfte noch viel Freude an der Barrierefreiheit haben

Das heiße Eisen wird er irgendwann anpacken müssen als Kommunalminister, der zudem auch mit seiner Zuständigkeit für das gesamte Verkehrswesen in Bayern noch viel Freude am Thema Barrierefreiheit haben wird. Er als der wahre Superminister der neuen Staatsregierung wird die Zahlen kennen, die Buckenhöfer nennt: Die Barrierefreiheit nur einer einzigen Ampelanlage mit allem Drum und dran kommt demnach leicht auf 30000 Euro, die auf Barrierefreiheit getrimmte Sanierung von Rathäusern – davon gibt’s über 2000 in Bayern – summiert sich gerne auf Hunderdtausende von Euro. Wie sollen gerade strukturschwache Gemeinden ihre jeweiligen Eigenanteile aufbringen?

Wer zahlt was – und wie wird das Konnexitätsprinzip b(g)eachtet

Und wie hoch sind diese? Wie steht es mit der Umsetzung des gesetzlich verankerten Konnexitätsprinzips („wer bestellt soll auch zahlen“)? Und wie geht man mit Kommunen um, die allein schon um das gesetzte Ziel von 2023 überhaupt erreichen zu können jetzt schon mit notwendigen Maßnahmen beginnen? Denn mit der Einsetzung der Arbeitsgruppe hat sich die Staatsregierung erst mal Luft verschafft. Bedarfsermittlung, Aufgabenverteilung, Einbeziehen des Bundes, Planungen usw. – das dauert.

Im Raum steht natürlich die Frage inwieweit Rückstellungen eingeplant oder sonstwie Vorsorge getroffen wird. Einen Hinweis gibt beispielsweise die Grünen-Haushaltsexpertin Claudia Stamm. Sie verweist auf in Haushaltsresten schlummernde 410 Millionen Euro, die u.a. für barrierefreie Bahnhöfe vorgesehen seien. Auch die CSU-Fraktion hat mit Blick auf Bahn- und Bundesmittel sich zu diesem Thema gerührt. In einem Antrag (17/663) fordert sie die Staatsregierung auf, sich bei Neubauten im Bereich der S-Bahn … dafür einzusetzen, dass die Einrichtungen für Behinderte zeitgleich mit der Gesamtfertigstellung verwirklicht werden. Andernfalls bestünde immer die Gefahr, dass Maßnahmen erst mit jahrelanger Verspätung verwirklicht werden könnten.

Paradigmenwechsel von der klassischen Behindertenhilfe zur Inklusion kostet Geld

Doch es geht nicht nur um Barrierefreiheit im Verkehrsbereich oder in öffentlichen Gebäuden vom Rathaus bis zur Universität und auch nicht nur um Gehbehinderte. Die Anforderungen z.B. von Sehbehinderten an ihre Umwelt seien ganz andere so der Städtetag. Sie bräuchten, wie die Sozialministerin erläutert, „taktile und gut erkennbare Bahnsteigkanten oder Piktogramme bei Wegweisern. Ganz davon abgesehen, solle auch das Internetangebot der öffentlichen Hand barrierefrei sein. „Der Paradigmenwechsel von der klassischen Behindertenhilfe zur Inklusion kostet nun mal Geld“, unterstreicht Claudia Stamm ihre Forderung, geltendes Recht mit Geld zu unterfüttern. Endlich zu handeln, statt zu reden, sei angesagt.

Als Frage dazu stellt sich: Hat Seehofer ohne Grundlage und ohne Not ein zeitliches Ziel gesetzt oder genau damit die notwendige Diskussion erst richtig in Gang gebracht?

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

15. April 2014 um 08:46h