MAX-Online

Landtag, Kommunen, Regierung, Organisationen

Sondersitzung des Landtags zur Modellbauauto-Affäre und anderem: Überflüssig? – Hochinteressantes zu drängenden Fragen gab es allemal

kommentieren

Wegen der Haderthauer-Geschichte eine Sondersitzung des Landtags in den Ferien einzuberufen, hielten viele für reichlich überflüssig. Inhaltlich Neues zur Modellbauaffäre war auch kaum zu erwarten. Die Debatte selbst zeigte jedoch auch Risse im Modell Bayern auf, und der Name Haderthauer zog sich wie ein roter Faden durch die drei in fast fünf Stunden behandelten drei Tagesordnungspunkte: die Umbesetzung im Kabinett, der Rücktritt der Staatskanzleiministerin und wie der Regierungschef mit dem Thema umgegangen war sowie das brennende Problem der in Bayern Asyl Suchenden. Und an deren zum Teil menschenunwürdigen Unterbringung, wie es schon die frühere Sozialausschussvorsitzende Brigitte Meyer (FDP) formuliert hatte, die damalige Sozialministerin Mit-Verantwortung trägt.

Angesichts dessen muss es auch manchen CSU-Sozialpolitikern ganz gewaltig in den Ohren geklingelt haben, wenn Horst Seehofer oder ihr Fraktionschef Thomas Kreuzer beteuerten, auch als Sozialministerin habe sich Haderthauer für Bayern verdient gemacht. Denn über Jahre hatten auch viele von ihnen moniert, wie sehr die Exekutive den zu Beginn der letzten Legislatur mühsam ausgehandelten Asylkompromiss ausbremste. Vor diesem Hintergrund wirken später durchaus erreichte Verbesserungen eher öffentlichem Druck geschuldet. Der gestern immer wieder angeführte fluchtartige Abschluss des Besuchs einer Gemeinschaftsunterkunft durch die ehemalige Sozialministerin erscheint denn dann doch eher symptomatisch für ihre Sozialpolitik.

Zuständigkeit Haderthauers für die Forensik – Brisanz war erkennbar

Zuständig wurde Christine Haderthauer nach den Landtagswahlen 2009 auch für die Forensik. Ob sie damals entgegen eigenen Angaben tatsächlich noch eine Geschäftsführung der Modellauto-Vertriebsorganisation SAPOR wahrnahm, ist eine Frage, mit der sich der eingesetzte Untersuchungsausschuss und die Justiz beschäftigen werden. Doch in offensichtlicher Kenntnis des Geschäftskonstrukts musste sie als Ministerin die darin liegende Brisanz erkennen und sich ihr stellen. Denn das Konstrukt gehört in die Merkelsche Kategorie „Das geht nicht“ – was aber offensichtlich über Jahre hinweg doch praktiziert werden konnte.

Denn die Anfänge reichen ja in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Das bestehende System hat es über viele Jahre hinweg zugelassen, und da konnte man gestern insbesondere beim Freie Wähler-Sozialpolitiker Dr. Peter Bauer genau zuhören, dass und wie ein Dreifachmörder sich frei und ohne Bewachung in der Gegend bewegen, eine (Handels-)Messe oder auch die Haderthauers besuchen und möglicherweise auch urlauben konnte. Ein ehedem grausam handelnder Straftäter, dessen Therapie darin bestand Modellautos zu basteln, und dies möglichst viele an Acht-Stunden-Tagen, des nachts und auch am Wochenende. Viel Zeit für anderes konnte kaum bleiben, wurde auch nicht belegt und ist ganz sicher im Detail Sache des Untersuchungsausschusses.

SPD-Arnold: „Forensik dient dem Schutz der Allgemeinheit“

Von jederzeitigem öffentlichen Interesse – „Forensik dient dem Schutz der Allgemeinheit“ (SPD-Abgeordneter Horst Arnold) ist es allemal. Denn auch solche Sachen passieren in Bayern und eben nicht nur Wirtschaftswunderdinge. So wie es das gute Recht der für letzteres zumindest mitverantwortlichen Staatsregierung ist, sich darüber zu verbreiten, ist es deren Aufgabe Missstände abzuarbeiten. Und dies führt auch zum weiteren gestrigen Anliegen der Opposition, nämlich die Rolle des Ministerpräsidenten und der Staatskanzlei zu beleuchten. Es waren nun mal, wie SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher ausführte, im Herbst 2013 die Fakten zu SAPOR schon bekannt. Warum hat Seehofer sie trotzdem ins Amt berufen, warum habe er so lange an ihr festgehalten „und damit einen politischen Kollateralschaden zumindest billigend in Kauf genommen“? Warum erfolgte der Rücktritt erst nach den von der SPD vorgelegten Sondergutachten, warum erst nach der Durchsetzung des Sonderplenums durch die Opposition? Wie war es möglich über die Staatskanzlei in privaten Angelegenheiten auch von Haderthauers Ehemann zu versuchen Einfluss auf missliebige Presseberichterstattung zu nehmen oder, wie Bauer (FW) später ausführte, zu versuchen ihm persönlich einen Maulkorb zu verpassen?

Das sind im wesentlichen weniger Fragen, die die anstehenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen berühren oder zum Untersuchungsauftrag des Landtags gehören. Beantwortet wurden sie von der Staatsregierung nicht. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer blieb es überlassen, die Notwendigkeit der Debatte anzuweifeln bzw. die darin erfolgte Nutzung als politische Generalabrechnung als „Missachtung des Parlaments“ zu geißeln.

Generalabrechnung durch SPD und Grüne führt zu Krach

Mit der Generalabrechnung war zu rechnen gewesen. Die aufgebrachten CSU-Parlamentarier mussten sie über sich ergehen lassen, man wusste nicht was heller hervorschimmerte – die Knöchel der geballten Fäuste oder die meist zusammengebissenen Zähne. Unterbrochen nur durch zornige Zwischenrufe konnte insbesondere Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause so richtig vom Leder ziehen. Man merkte, wo bei ihr der Spaß anfängt und nicht aufhört, wenn sie zu auf Seehofer gemünzten Formulierungen wie „der Fisch stinkt vom Kopf her“ fand und abschließend dem Kabinett empfahl „jetzt endlich Regierungsaufgaben wahrzunehmen“.

Wesentlich zurückhaltender, und dieses Verhalten wird aufmerksam weiter verfolgt werden, gab sich Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Als Mittelpunkt sehen konnte man seinen Einwurf, Seehofer habe mit der Kabinettsumbildung eine Chance vertan. Eine Reduzierung an der Spitze der Staatskanzlei (gemeint war wohl eine Wieder-Zusammenlegung von Staatskanzlei, Bund, Europa), hätte die Möglichkeit zur Begründung eines eigenständigen Ministeriums zur Bewältigung der Energiewende eröffnet. Der Gedanke hatte und hat viele Freunde. Angeblich scheitert(e) er an der von Seehofer gewollten Austarierung des Kräfteverhältnisses zwischen seinen ThronfolgerInnen.

Auch Rinderspacher hatte sich des Themas Staatskanzlei angenommen. Zum einen wies er politisch laut aber weniger sachdienlich auf den bundesweit und historisch beispiellosen Verschleiß an StaatskanzleiministerInnen unter Seehofer hin. Zum anderen verwies er darauf, dass frühere Staatsregierungen sich mit einem Staatssekretär an der Spitze der Kanzlei begnügt hätten und man das Ressort auch genausogut kostensparend einem anderen Ressort einverleiben könnte.

Ein Blick in die Historie zeigt, dass das erste Kabinett Fritz Schäffer ganz ohne ausgekommen war und erst danach 1948 Ministerpräsident Hans Hoegner Dr. Hans (Anton) Pfeiffer als Staatsrat die Leitung einer Staatskanzlei übertrug. 1950 wurde er zum Staatssekretär ernannt und 1950 auch zum Sonderminister für Entnazifizierung. Die Kabinette Seidl kamen dann wieder ohne politische Leitung der Staatskanzlei aus bis dann Hans Ehard Franz Heubl als Staatssekretär an deren Spitze berief. Übernommen wurde dieser dann von Alfons Goppel. Heubl wurde unter ihm auch Minister für Bundesangelegenheiten. Solche Zuständigkeiten änderten sich bis hin zu einem Staatsminister für Europaangelegenheiten oder Sonderaufgaben. Die Namen unter den Regierungschefs Franz Josef Strauß und Max Streibl sind bekannt (Schmidhuber, Stoiber, Thomas Goppel, von Waldenfels, Sauter), doch deren auch zeitliche Zuordnung fällt mitunter schwer.

Unter Stoiber wurde Staatskanzlei zu einem Machtfaktor

Eine wirkliche Zäsur erfolgte unter Ministerpräsident Edmund Stoiber, der – wesentlich im Zusammenwirken mit Erwin Huber – aus der Staatskanzlei eine Behörde mit weitgefächerten Aufgaben formte, die auch auf ebenso weit gespannte Kritik stieß. Das betrifft die Begleitung/Kontrolle/Überwachung der verfassungsrechtlich geordneten Eigenständigkeit der Ressorts/Ministerien ebenso wie mißtrauisch beäugte, möglicherweise und in Einzelfällen beanstandete Verbindungen zur CSU-Landesleitung. Sei es, dass Arbeitspapiere dort verfasst wurden, wo sie nicht hingehörten, sei es, dass später unter Seehofer – verkürzt gesagt – gegen den Koalitionspartner FDP gerichtete Umfragen in Auftrag gegeben wurden. Zudem sieht die Opposition nicht ohne Grund in der Staatskanzlei eine Institution, die einen Abwehrkampf gegen das Fragerecht von Abgeordneten führt(e). Urteile des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zeigten, dass hier ein existentielles Grundrecht gerade der Opposition aber auch des Landtags insgesamt gefährdet war und ist aber es weist auch darauf hin, dass – durchaus der Staatsregierung teilweise recht gebend – neu austariert werden muss.

Huber kehrt an Spitze der Staatskanzlei zurück und alles atmet auf

Dass in dieser angespannten Situation Dr. Marcel Huber erneut an die Spitze der Staatskanzlei zurückkehrt, wird über die Parteigrenzen hinweg und in die Verbände und vermutlich weite Teile der Bevölkerung hinein mit einem gewissen Aufatmen aufgenommen. Inwieweit ihm seine Aufgabe mit Seehofers gestern nach der Debatte angekündigten Aufkündigung eine Zusammenarbeit mit der Opposition erschwert wird, zeigen vermutlich schon die nächsten Monate. Viel Zeit, seine Nachfolgerin im Umwelt- und Verbraucherschutzministerium Hilfestellung zu geben, wird ihm kaum bleiben.

Neue Umweltministerin – Anpacken aus ungewohnter Perspektive

Auch Ulrike Scharf wurde gestern – von einem Zwischen-Spott Rinderspachers abgesehen – freundlich bedacht in der sonst sehr emotionalen Debatte im Landtag. Etwas mühsam wurde sie von ihrem Fraktionschef Kreuzer mit einer kurzen früheren Landtagszugehörigkeit aufgewertet. Fakt ist. Sie ist unerfahren für dieses Amt. Und das weiß sie selbst vermutlich am besten. Für sie spricht eher ihr beruflicher Werdegang und Hintergrund. Früh trug die Diplom-Volkswirtin Verantwortung in einem mittelständischen Omnibusunternehmen. Von Verbandsseite, ob Landesverband Bayerischer Omnibus-unternehmen (LBO) oder Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), wurde und wird sie aufmerksam beobachtet. Beide Organisationen zählen innerhalb des Verkehrssektors als umweltfreundlich. Es wird deshalb interessant sein, wie Ulrke Scharf aus dieser Perspektive heraus das Amt anpackt. Und für Fachfragen hat sie schließlich Beamte im Ministerium (und in der Staatskanzlei).

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

17. September 2014 um 10:41h