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Pflegekammer oder Pflegering – wichtige Entscheidung auf der Tagesordnung

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Diskutiert wird seit Jahren, plötzlich kann es ganz schnell gehen, doch auch eine Art Moratorium wird ins Spiel gebracht. Kaum ein Thema wird so unterschiedlich und umstritten auch quer durch die Verbände, Institutionen, Parteien und Fraktionen sowie die einzelnen Bundesländer diskutiert wie die Einführung einer Pflegekammer. In Bayern tut der Fahrplan ein Übriges, so dass es diese Woche zu einer ziemlich einmaligen Konstellation kommt. Auf der heutigen Tagesordnung des Pflegeausschusses steht ein Antrag der Freien Wähler mit der Forderung, eine Pflegekammer in Bayern einzuführen. Doch erst am Mittwoch wird die CSU in ihrer Fraktionssitzung von der zuständigen Ministerin über deren Pläne informiert.

Nach langer Lösungssuche – Pflegering statt Pflegekammer

Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml hatte im April ein abgewandeltes Modell unter dem Namen „Pflegering Bayern“ angekündigt. Begründet werden soll – wie im Falle einer Kammer – eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, aber ohne Zwangs-mitgliedschaft. Das Modell stieß u.a. auf Zustimmung der Wirtschaft, die sich eine größere Einflussnahme-Möglichkeit der Träger(verbände) verspricht oder erhofft. Wichtige Fachverbände sind dagegen – aber nicht alle – u.a. mit dem Argument, dass ohne Zwangsmitgliedschaft keine verlässlichen Daten zu Zahl, Zusammensetzung und Alter von Pflegekräften zu erhalten wären. Die Haltung innerhalb der Landtagsfraktionen ist unterschiedlichst und politisch ziemlich spannend. Zum Meinungsbild gehören die Ergebnisse einer vom Landtag durchgeführten Anhörung aber auch ein Umfrageergebnis unter Pflegekräften. Ein Blick in andere Bundesländer hilft nicht. Die ringen fast alle noch mit sich selbst. Einzig Rheinland/Pfalz hat schon einen Starttermin – dort nimmt eine Pflegekammer ab 1. Januar 2016 ihre Arbeit auf.

Söders Kammer-Gesetzentwurf verschwand in der Schublade – auf Druck der FDP

Bayern schien auf demselben Wege zu sein. Nach einer Anhörung von Experten und Verbänden im Landtag zur „Ausgestaltung einer Pflegekammer in Bayern“ (18.10.2012) hatte der damalige Gesundheitsminister Dr. Markus Söder eine Kabinettsvorlage zur Einführung einer Pflegekammer in Bayern erarbeiten lassen. Sie scheiterte am Widerstand des damaligen Koalitionspartners FDP und verschwand in der Schublade. Nach den Landtagswahlen (und dem Ausscheiden der Liberalen aus Parlament und Regierung) und der Institutionalisierung sowohl eines eigenständigen Gesundheits-/ Pflegeministeriums als auch eines Landtagsfachausschusses kam das Thema schnell wieder auf die Tagesordnung.

Runder Tisch – Arbeitsgruppe mit Vertretern von Pro und Kontra

Ministerin Melanie Huml berief einen Runden Tisch Pflegekammer ein. Zu den Grundlagen gehörte eine Infratest-Umfrage. Danach hatten sich 50 % der Pflegekräfte in Bayern für eine Pflegekammer ausgesprochen, 34 % waren dagegen. Es sollte laut Pressemitteilung vom 10.2.15 „ein Lösungsansatz gefunden werden, der für alle Beteiligten einen gangbaren Weg darstellt – sowohl für die Pflegekräfte als auch für die Einrichtungsträger. Der Runde Tisch hatte sich am selben Tage darauf geeinigt, dass zunächst eine kleinere Arbeitsgruppe gebildet wird. Ihr gehörten jeweils vier Vertreter der Befürworter und der Gegner einer Pflegekammer plus zwei Experten.

Huml: Klassische Kammer mit Pflichtmitgliedschaft derzeit nicht durchsetzbar

Es blieb auch nach vielen Gesprächsrunden beim Patt und im Ergebnis legte Gesundheitsministerin Huml am 5. Februar 2015 ein Konzept vor, „das für eine effektive Interessenvertretung der Pflegekräfte im Freistaat sorgen soll“. Vorgesehen ist – wie im Falle einer Kammer auch – die Bildung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. In dieser können Pflegeverbände und einzelne Pflegekräfte freiwillig Mitglied werden, aber freiwillig und ohne Zwang und Mitgliedsbeiträge. Huml unterstrich: „Dieses Modell trägt maßgeblichen Forderungen sowohl der Befürworter als auch der Gegner einer klassischen Pflegekammer Rechnung. Zugleich ist es der einzig realistische Weg einer institutionalisierten Vertretung der Pflegenden. Denn eine klassische Kammer mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen ist derzeit nicht durchsetzbar.“

Das vorgelegte Konzept sieht vor, dass der Körperschaft auch staatliche Vollzugsaufgaben übertragen werden – etwa Bewilligungen nach der Förderrichtlinie in der Altenpflege. Die Körperschaft soll von einem Präsidium nach außen vertreten werden und eine Geschäftsstelle erhalten. Insgesamt werden im Konzept viele Punkte zu den Aufgaben des als „Pflegering Bayern“ bezeichneten Modells aufgeführt, die im Prinzip unstrittig sind. Allerdings sind die wirklichen Knackpunkte wie zur Rolle der Arbeitgeber/Träger nicht formuliert.

In Plenardebatte wenig Konkretes aber Richtungweisendes der Fraktionen

Wenig konkret wurde Ministerin Huml auch in ihrer Regierungserklärung vom 19. Mai. Notwendig sei eine Standesvertretung auf Augenhöhe, wobei für sie der Grundsatz gelte: Mitgliedschaft aus Überzeugung statt Pflichtmitgliedschaft und Zwangsbeitrag. Katrin Sonnenholzer, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und Gegnerin einer traditionellen Kammerform, signalisierte Zustimmung für die Pläne der Ministerin. Dabei schlug sie einen Pflock für die Zustimmung ihrer Fraktion ein: „Wir wollen, dass in diesem Pflegering definitiv die Pflegenden das Sagen haben, nicht etwa andere Berufsgruppen.“ Ganz klar für die reine Form einer Pflegekammer sprach sich Dr. Peter Bauer für die Freien Wähler aus. Ebenso Ulrich Leimer für die Grünen, auf dessen engagierten Beitrag noch an anderer Stelle einzugehen sein wird. Die CSU hingegen war vorsichtig an das Thema herangegangen. Klaus Holletschek will sogar an einen großen Wurf glauben, um den Pflegekräften das zu ermöglichen, was sie wollten: „Dass sie nämlich auf Augenhöhe in den entscheidenden Fragestellungen mitreden können, dass sie aber dort, wo es keine Probleme gibt, nicht mitreden müssen.“ Gewollt sei auch nicht, dass die Arbeitgeber an jeder Schnittstelle mit eingebunden werden müssen.

Damit war auch zu erkennen, dass der CSU-Fraktion selbst nicht klar ist, was genau die Ministerin plant. Ein Informationsgespräch war angekündigt und stand schon auf der Tagesordnung der letzten Fraktionssitzung, wurde aber – was absehbar war – wegen einer fraktionsinternen Diskussion um die Ereignisse in Elmau auf den morgigen Mittwoch verschoben worden.

Heute Antrag der Freien Wähler: „Eine Pflegekammer für Bayern!“

Heute Nachmittag steht nun der Antrag (6737) der Freien Wähler auf der Tagesordnung mit der klaren Forderung „eine Pflegekammer für Bayern!“ In enger Zusammenarbeit mit den Pflegeverbänden sollen die gesetzlichen Grundlagen für deren Errichtung geschaffen werden. Ziele und Aufgaben: deutliche Verbesserung der Situation für die Pflegefachkräfte und die zu Pflegenden; Führung eines Registers mit den Angehörigen der Pflegeberufe; Interessenvertretung; Fort- und Weiterbildung; Berufsausübung, Qualitätssicherung; Berufsrecht. Und: Tarifverhandlungen und Altersvorsorge sollen ausdrücklich nicht in den Kompetenzbereich einer neuen Pflegekammer gehören.

Meinungsvielfalt in der CSU-Fraktion

Nun deckt sich sehr vieles davon mit dem, was die Ministerin auch schon angekündigt hat und was so auch auf der Homepage des Ministeriums zu finden ist. Allerdings ohne die entscheidende Frage der Zwangsmitgliedschaft oder die Beantwortung der Frage, wer das Sagen hat, welches Gewicht die Arbeitgeberseite hat etc. Die CSU-Abgeordneten werden nun heute wohl an ihre bisherigen Aussagen gebunden sein – oder auch nicht. Der stellvertretende Vorsitzende des Fachausschusses Bernd Seidenath hatte sich im Gespräch noch vorsichtig geäußert. Der Sprecher des CSU-Facharbeitskreises und frühere Pressesprecher des Sozialministeriums hatte schon in der letzten Legislaturperiode das Thema Pflege engagiert für seine Fraktion vorangebracht. Für ihn kommt es weniger darauf an, wie sich das Kind nennt. Man spürt durchaus, dass er seiner Ministerin auch den Rücken stärken will. Bei der Ausgestaltung redet er von „technischen Feinheiten“. Nicht aus den Augen verliert er jedoch das Ziel, dass es gelte, die „Attraktivität des Berufs zu steigern“. Völlig klar ist, dass Seidenath jetzt schon Handlungsbedarf sieht, „um eine humanitäre Katastrophe spätestens ab 2050“ abzuwenden.

Goppel: „Wenn die das sagen, dann ist was faul.“

Völlig festgelegt hat sich Thomas Goppel, und es ist zu erwarten, dass er inhaltlich dem FW-Antrag zustimmt. Als Seniorensprecher der CSU bringt er mit den Tausenden von Mitgliedern im Rücken viel an Gewicht mit sich. Und Goppel, der sich ausgezeichnet auf verschlungenste Formulierungen versteht, wird mit Blick auf die Zustimmung der Vereinigung Bayerischen Wirtschaft (Mitglied ist der Arbeitgeberverband Pflege) für die Pläne Humls sehr deutlich: „Wenn die das sagen, dann ist was faul.“ Damit schält sich auch heraus, was zum großen fraktionsinternen Problem werden und vielleicht auch von insgesamt richtungsweisender Bedeutung für Fraktion und CSU werden könnte. Nämlich dem Gewicht des Wirtschaftsflügels in der Fraktion in solchen Fragen. Die Wirtschaftspolitiker tendieren gegen eine Kammer-Lösung und dem soll sich dem Vernehmen nach auch Fraktionschef Thomas Kreuzer zuneigen.

Barbara Stamm legt Herzblut in die Sache

Als Gegengewicht kann man Landtagspräsidentin Barbara Stamm sehen. Die lässt im Gespräch gar keine Zweifel daran aufkommen, welche Bedeutung diese Frage für sie hat. Die frühere Sozial- und Gesundheitsministerin legt richtig Herzblut in die Unterhaltung. Wie sich das Instrument denn letztlich nennt, ist ihr letztlich egal. Die Gewichtung der Pflegekräfte muss für sie stimmen und ins rechte Lot gebracht werden. Dass Barbara Stamm noch einmal als stellvertretende Vorsitzende beim CSU-Parteitag im Herbst antritt – und dafür heftig umworben wurde – dürfte nicht ohne Bedeutung sein.

Pflegebeauftragter will Erfahrungen aus Rheinland/Pfalz abwarten

Bei der Abstimmung heute dabei ist auch Hermann Imhof. Der Pflegebeauftragte der Staatsregierung hat sich klar für eine Pflegekammer ausgesprochen. Imhof bringt allerdings noch einen anderen Gedanken ins Spiel. Er favorisiert diese Lösung sogar. Man könne nämlich durchaus zuwarten. Rheinland/Pfalz begründe gerade seine Pflegekammer. Bayern könnte sich das ein Jahr lang anschauen und nach entsprechendem Erkenntnisgewinn entscheiden. Ein Gedanke, den zum Beispiel die Generaloberin der Schwesternschaft München vom Bayerischen Roten Kreuz e.V. (1200 Mitglieder), Edith Dürr, für nicht völlig abwegig hält – allerdings nur bevor das Projekt Kammer in Bayern ganz scheitert. Für den Fall allerdings hat sie auch durchblicken lassen, dass sich die Schwesternschaft und möglicherweise andere Institutionen einem „Pflegering“ schlicht verweigern.

Kommt es wieder auf die CSU an?

Es sei dahingestellt, ob solches ein heutiges Abstimmungsverhalten beeinflusst. Wenn es dazu kommt, wird es spannend. Die jeweils zwei Stimmen für den FW-Antrag von den Freien Wählern und den Grünen scheinen sicher. Wenn die SPD geschlossen (4 Stimmen) Katrin Sonnenholzer, der Ausschussvorsitzenden, folgt und gegen die reine Kammerlösung (das entspräche auch einem Beschluss des SPD-Landesparteitags) stimmt, entstünde ein Patt bei der Opposition. Es käme – wie immer aber eben doch ganz anders – auf die CSU an.

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In weiteren Beiträgen kommen die Haltungen der Verbände und deren Argumente näher zur Sprache. Auch hier herrscht Meinungsvielfalt. So vertritt z.B. verd.i in Bayern eine konträre Meinung zu verd.i in Rheinland/Pfalz oder Niedersachsen. Die Schwesternschaft München des BRK vertritt eine gänzlich andere Haltung als der Dachverband BRK/DRK. Interessant sind auch Fragen zur Situation der Pflegehelferinnen und anderer die Pflege begleitenden Berufsgruppen. Usw.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

16. Juni 2015 um 08:55h