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SPD-Landtagsfraktion packt im Ehrenamt an

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Es gibt viel zu tun – Packen wir’s an!“ – Das mittlerweile geflügelte Wort stammt, man erinnere sich, von Esso. Damals Mitte der siebziger Jahre, setzte als Folge der Ölkrise ein Umdenken statt, und der Mineralölkonzern hatte nach einem seriöseren Slogan gesucht als das symbolhafte „Put a Tiger in Your Tank.“. Den Tiger in den Tank packen möchten immer mehr Menschen – freiwillig, im Ehrenamt oder wie auch immer. Sie wollen anpacken wo ‘s Not tut, sich vielleicht selbst verwirklichen oder auch mit einer sinnvollen Tätigkeit einer aufkommenden Langeweile vielleicht auch Einsamkeit entfliehen. Rund 36 Prozent der Über-14-Jährigen sind freiwillig engagiert, Hundertausende Bayern leisten ehrenamtliche Tätigkeiten. Ehrenamtliche leisten 710 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr. Das sind 7 Prozent des gesamten Arbeitsaufkommens. Vergütet mit dem Mindestlohn, hätte diese Leistung einen Wert von 6,1 Milliarden Euro.

Die Zahlen stammen von der SPD-Landtagsfraktion. Diese hatte am Dienstag einen Gesetzentwurf zur Stärkung Ehrenamtlicher vorgestellt. Zur Verbesserung der Koordination der Ehrenamtlichen und den Abbau von Hindernissen in der täglichen Arbeit, wie die Sozialpolitikerin Ruth Waldmann erklärte, und, so Fraktionsvize Hans-Ulrich Pfaffmann: „Seit 2013 ist die Stärkung des Ehrenamtes Staatsziel. Da reicht es nicht, das in Sonntagsreden abzufrühstücken, sondern es bedarf eines aktiven politischen Handelns.” – Untätig war die Politik zur Unterstützung des Ehrenamts allerdings keineswegs.

Gesetzlicher Rahmen soll Ehrenamt auf stabile Beine stellen

Die SPD will jedoch einen gesetzlichen Rahmen schaffen, um das bürgerschaftliche Engagement in Bayern auf stabile Beine stellen. Dabei baut die SPD durchaus auf Vorhandenem auf. So sollen die bestehenden Koordinierungszentren gestärkt und ausgebaut werden. Ein neu einzurichtender Landesbeirat könnte die bereits bestehende Struktur des „Runden Tisches Bürgerschaftliches Engagement“ beraten und verstärken und damit zielgerichtet, Parlament, Regierung und Öffentlichkeit unterstützen. Auch die bestehende „Ehrenamtskarte“ soll weiterentwickelt werden. Deren Inhaber würden danach nicht nur freien Eintritt in alle staatlichen und kommunalen Museen erhalten, sondern auch mit 25 % ermäßigte Fahrscheine im öffentlichen Nahverkehr Bayerns bekommen.

Die Einhaltung des Gesetzes überprüfen soll ein hauptamtlicher Landesbeauftragter, der auch das Recht der Stellungnahme bei allen staatlichen das Ehrenamt betreffenden Vorhaben erhalten soll. Der Gesetzentwurf sieht auch die Einrichtung einer Stiftung vor, die u.a. Preisgelder für herausragende Projekte ausloben und außergewöhnliche Innovationen finanzieren soll. Das gilt für den weitgespannten Bereich gemeinnütiger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke bis zum demokratischen Staatswesen. Und, als letzte Kernforderung, soll die Hinführung der SchülerInnen ans bürgerschaftliche Engagement als schulische Aufgabe ins Schulgesetz geschrieben werden.

Es wird nicht ganz billig – aber es soll sich rechnen

Letzteres dürfte aus Sicht der SPD nichts, zumindest kein Geld kosten. Doch anderes schlägt sich auf der Sollseite im Haushalt nieder, rechne sich aber. Am teuersten kämen die Koordinierungsstellen. Geht man von zwei pro Landkreis und kreisfreier Stadt aus, so errechneten sich Personalkosten von 18,432 Mio. Euro jährlich. Hier wären zusätzlich die Kommunen für den Sachaufwand von insgesamt 4,8 Mio. € zuständig. Die Reisekosten für die ehrenamtlichen Beiräte plus Geschäftsstelle käme auf 200000 Euro im Jahr, der/die Landesbeauftragte auf 78000 €, die Ehrenamtskarte mit 280000 € für den freien Museumseintritt etc plus runde 5 Mio. € für ÖPNV-Ersatz; zusätzlich werden die Kommunen hier mit dem freien Eintritt für kommunale Museen (42000) und weiteren Zuschüssen in Höhe von 400000 € belastet. Die Errichtung der Stiftung schlüge sich mit einer Million an Grundstockvermögen und einem jährlichen Zuschuss von 100000 € zu Buche. Aber die Kämmerer könnten sich wegen der – positiven – Umwegrentabilität freuen: runden 30 Mio. € an öffentlichen Investitionen stünde ein Mehrwert an geleisteter Arbeit in Höhe von 60 Mio. Euro gegenüber.

Die SPD berichtet von einem dem Entwurf vorausgegangenen umfassenden Dialog mit Verbänden, Vereinen und engagierten BürgerInnen. Sie ließ sich auch ein Gutachten zur Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements von zwei Experten (Prof. Gerd Mutz und Dr. Rosário Costa-Schott) erstellen. Den Entwurf legte sie auch einer kritischen und sehr renommierten Stimme vor. Diese, der Vorsitzende des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement in Bayern Dr. Thomas Röbke (Nürnberg), ließ der Fraktion auch ein umfangreiches Statement zukommen (teilwiese in einer Pressevorlage der SPD enthalten).

SPD und kritischer Experte einig: Nachhaltigere Förderung notwendig

Grundsätzlich freut sich Röbke, „dass der Landtag durch die Initiative der SPD-Fraktion im politischen Raum Möglichkeiten und Wege diskutieren wird, die sich grundsätzlich aus dem im Jahr 2013 neu aufgenommenen Staatsziel der Förderung des Ehrenamts ergeben“. Der Landesnetzwerks-Vorsitzende sieht dies als Anfangspunkt auf einem Weg zu nachhaltigerer Förderung in diesem Bereich. Geht man mehr ins Detail seiner Ausführungen und unterhält sich mit Röbke, so wird doch einiges an Kritik und Vorbehalten deutlich. Dies richtet sich natürlich auch auf an der Kernforderung nach einem Landesbeauftragten, was die derzeitige Arbeit seiner Institution berührt. Röbke bedauert denn auch hier, dass bestehende zivilgesellschaftliche Strukturen wie das Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement im Konzept der SPD so gut wie keine Rolle spielten. Es müsste und werde sicher diskutiert werden, wie denn die Schnittstellen zur Stelle einer/s Landesbeauftragten aussehen könnten.

Gratwanderung zwischen gesetzlicher Einengung und freier Entfaltung

Röbkes Exkurs besticht vor allem durch eine breite Darstellung dessen, was im Bereich des Ehrenamts und seiner Förderung in Bayern aufgebaut wurde, wo die Stärken und Schwächen liegen. Er zählt Gelungenes wie Aufbau und Arbeit der Mehrgenerationenhäuer in Bayern auf Er nennt dringend Verbesserungsbedürftiges wie die nachhaltigere Förderung der einschlägigigen kommunalen Strukturen und begrüßt hier auch bestehende Ansätze im Gesetzentwurf der SPD. Aber insbesondere im Gespräch dringt durch, dass Röbke durchaus eine Art Gratwanderung zwischen gesetzlichen Rahmenbedingungen und den Notwendigkeiten vor Ort, wo die Arbeit ja geleistet werden muss, erkennt.

Enge Abhängigkeiten zwischen Interessen der Bürger und lokalen Gegebenheiten

Eines wird herausgehoben in diesem wie in anderen Gesprächen. Ehrenamt ist nun mal ganz nahe am Bürger, es bestehen sehr enge Abhängigkeiten zwischen dessen Interessen und den jeweiligen lokalen Gegebenheiten. In diese Richtung läuft auch ein Gespräch mit Bernhard Nacke, dem Ehrenamtsbeauftragten des Landes Rheinland/Pfalz. Die Pfälzer haben eine möglicherweise noch tiefergehende Tradition in diesem Bereich. Nicht von ungefähr liegen sie mit 41 % Bürgerbeteiligung an zweiter Stelle der Länder in Deutschland. Der frühere Ministerpräsident Kurt Beck hat das Thema früh zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht und beispielsweise schon vor zehn Jahren zu Bürgerkongressen eingeladen. Das Ehrenamt ist auch nicht wie in Bayern und anderen Bundesländern im Sozialministerium angesiedelt, sondern direkt in der Staatskanzlei – quasi Chefsache. Und als solche interpretiert diese Aufgabe auch Beck-Nachfolgerin Malu Dreyer.

Nicht ein Ehrenamt steht bereit – ein solches wird gestaltet

Die amtierende rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin verstärkte Initiativen wie die Internet-Plattform „Wir tun `was“, die allen, die sich informieren oder beteiligen wollen, viele Informationen bietet und Wege aufzeigt, wie man sich einbringen kann oder wo es weitere Unterstützung gibt. Einen ganz neuen Weg geht „Ich bin dabei“. Ältere Menschen werden dabei motiviert oder animiert, sich gesellschaftlich zu engagieren. Das Projekt wird vom Landesbeauftragten selbst geleitet und geriet offenbar zu seinem Lieblingskind. Diesen Schluss jedenfalls läßt ein Gespräch mit ihm über Entstehen und Werdegang des Projekts zu. Es werde, so Bernhard Nacke, ein neuer Ansatz erst erprobt und mittlerweile schon breit verwirklicht. Die jungen Alten sollten sich selbst fragen „was hätte ich eigentlich immer schon gern getan“, „wo hatte ich Ansatzpunkte in meinem Leben, mich selbst zu verwirklichen und bin davon abgekommen“. Auf der Suche nach Gleichgesinnten und bei der Umsetzung hilft die Kommune. Nicht ein Ehrenamt steht bereit – ein solches wird gestaltet.

Blick über den Zaun gang und gäbe

Für eine erste Staffel meldeten sich sechs Kommunen, in denen sich 42 Gruppen mit 232 Menschen beteiligten. Die zweite Staffel war noch erfolgreicher und im nächsten Frühjahr läuft die dritte Staffel mit jetzt schon absehbarer noch höherer Beteiligung an. Im Prinzip ist alles möglich: es gründen sich Bach-Patenschaften, Theatergruppen, ein brachliegendes Museum wird aufgepäppelt, ein Repair-Cafe findet regen Zulauf, eine Gruppe engagiert sich aus irgendeinem lokalen Anlass heraus für Senegal und so weiter. Man schöpft aus dem Wissen oder den Erfahrungen anderer Initiativen wie Senior-Training (was nichts mit Sport zu tun hat, sondern damit, dass dafür ausgebildete Personen, Anleitungen dafür geben, wie sich Initiativen zusammenschließen und -arbeiten können), nutzt die Mehrgenerationenhäuser. Hier wie bei anderen Projekten schaut man über den Zaun, sieht, dass die MGHs gerade in Bayern besonders erfolgreich sind. Netzwerken ist angesagt. Natürlich fällt der Name Röbke, der über die Landesgrenzen hinweg irgendwie ein Pabst in Sachen Ehrenamt zu sein scheint.

SPD-Gesetzentwurf als „wichtiger grundsätzlicher Impuls“

Dieser wiederum analysiert, darauf angesprochen, das rheinland-pfälzische Modell. Röbke zeigt Vorteile und Schwächen auf und befindet, dass sich so etwas nicht zwingend auf andere Bundesländer übertragen lässt. Aber gerade in diesem Austausch und Wettbewerb zeige sich der Segen eines föderalistischen Systems. Der Bund spielt natürlich auch eine Rolle. Nicht nur mit dem 2013 in Kraft getretenen Ehrenamtsstärkungsgesetz, das dem Ehrenamt einen neuen steuergesetzlichen Rahmen gab. Röbke erwähnt hier die Planung, eine Bundes-Engagementstiftung in Anlehnung an die bestehende Bundeskulturstiftung zu errichten. Stiftungen in Sachen Bürgerliches Engagement sind auf Länderebene mittlerweile durchaus verbreitet. Röbke gibt diesem im Gesetzentwurf enthaltenen Vorschlag der SPD gute Chancen. Er sei allerdings auch schon in einem Empfehlungspapier des Runden Tisches Bürgerliches Engagement formuliert worden. Doch auch darüber hinaus sieht Röbke im Gesetzentwurf der SPD einen „wichtigen grundsätzlichen Impuls zur dauerhaften Sicherung von Infrastrukturen vor Ort, die ansonsten die Kommunen überfordern würde“.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

30. Juli 2015 um 08:18h