MAX-Online

Landtag, Kommunen, Regierung, Organisationen

Freie Wähler: An schwerer Aufgabe kann man auch wachsen

kommentieren

Wer liest zur Zeit etwas über Landesentwicklung, wer interessiert sich dafür? Quotenschlüssel in Kindergärten, Sportunterricht in Schulen, Pflegekammer oder nicht – alles wichtige Themen, aber wie steht es mit dem öffentlichen Interesse or zwei Jahren konnten die Freien Wähler erfolgreich mit einem Volksbegehren für das neunjährige Gymnasium Sympathien und Zustimmung gewinnen. In der jetzigen von der bundes,-, europa- und weltpolitisch dominierten Lage wäre dies und Vergleichbares ungleich schwieriger. Kommt hinzu, dass hierzu wiederum Stimmen und Meinungen aus dem Lager der weder im Bundestag noch in anderen Landesregierungen vertretenen Freien Wähler wenig Gehör finden. Darüber hinaus beschäftig(t)en zwei ihrer wichtigeren Mitglieder der Landtagsfraktion Staatsanwaltschaft und Gerichte. Man braucht sich also nicht zu wundern, dass Umfragen zufolge sich der Stimmenanteil der Freien Wähler in Bayern fast halbierte und sie aktuell um einen Wiedereinzug ins Landesparlament fürchten müssten. Da kann man darauf gespannt sein, welche Antworten Fraktionschef Hubert Aiwanger und seine Mitstreiter in ihrer heute beginnenden Winterklausur darauf finden wollen und werden. Fraktionsgeschäftsführer und stellvertretender Fraktionschef Florian Streibl gab im Gespräch mit MAX die Losung heraus: „Besinnung auf Kernkompetenzen“.

Abgrenzung zur CSU überlebenswichtig

Die zur Klausur verbreitete Tagesordnung – sie reißt einem beim ersten Hinschauen keineswegs vom Stuhl: „Schlampige Umsetzung des Mindestlohns“, besserer und freundschaftlicherer Umgang mit dem Nachbarn Österreich, die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Tatsächlich jedoch rühren die Themen an den Kern der Arbeit und der potentiellen Wählerschaft der Freien Wähler. In mittleren Unternehmen und Handwerksbetrieben herrscht nach ihren Feststellungen nach wie vor großer Unmut über die mit viel Bürokratie verbundene Umsetzung des Mindestlohns. Der CSU mit ihrer Regierungsbeteiligung in Berlin weist Aiwanger eine Mitschuld an der Gefährdung Zehntausender von Arbeitsplätzen in Bayern zu. Zur Abmilderung der Situation wollen die Freien Wähler auch landesparlamentarische Antworten finden. Die politische Stoßrichtung ist klar definiert. Klare Abgrenzungen zur im Prinzip nahestehenden CSU sind überlebenswichtig. Die Freien Wähler stellen den auch heraus, dass sie selbst im Gegensatz zur CSU „Anwalt der kleinen und mittelständischen Betriebe und einer bäuerlichen Landwirtschaft“ (Aiwanger) seien. Deshalb will die Fraktion während der Klausur auch die Milchwerke Berchtesgadener Land besuchen und das Problem der Dumpingpreise von marktbeherrschenden Discountern für Milch- und andere Landwirtschaftsprodukte thematisieren und über regionale Vermarktungskonzepte sprechen.

Auch beim zweiten Thema, der Flüchtlingsproblematik und auch damit zusammenhängend der Umgang mit Österreich, will die FW-Fraktion „vom Fleisch der CSU“ zehren. Da könne, so heißt es, Seehofer reden wie er will, eine Verantwortung an der Politik in Berlin habe er als CSU-Chef mitzuverantworten. Und die Folgen der Flüchtlingspolitik treffe zuallererst die bayerischen Kommunen. Und an der dortigen Umsetzung sind die Freien Wähler stark vertreten. Damit, so das Kalkül, lässt sich nicht nur gute eigene Politik machen. Es schweißt auch eine verunsicherte Basis wieder zusammen.

Österreich als wichtiger Nachbar und Gesprächspartner

Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit den Österreichern entlang der langen Grenzen zwischen Bayern und östereichischen Bundesländern. Deshalb werden die Freien Wähler nicht nur den Wartebereich für Flüchtlinge in Freilassing (Dienstag) aufsuchen, sondern haben auch den Bezirkshauptmann von Salzburg-Umgebung, Hofrat Mag. Reinhold Mayer, als Gast zur Klausur eingeladen. „Mit ihm soll jedoch nicht nur über Probleme der Zuwanderung sondern auch über wichtige Verkehrsprojekte gesprochen werden wie etwa den grenzüberschreitenden Ausbau der Autobahn 8 und die Bahn-Magistrale Paris-Budapest“, so der Parlamentarische Geschäftsführer der FW-Fraktion, Florian Streibl. Die viel beschworene Solidarität unter den Alpenvölkern steht ja nicht nur auf dem Papier, sie ist zu bewältigender Alltag zwischen den Menschen dies- und jenseits der Grenze. Umso wichtiger sei es für die Wirtschaft, über die Grenze hinweg  vernünftige Lösungen zu finden. „Und zwar mit den direkten europäischen Nachbarn wie Österreich – anstatt globale Handelsbeziehungen anzustreben und sich ein undurchsichtiges Freihandelsabkommen wie TTIP überstülpen zu lassen, so Streibl.

Club of-Rome“ und „Mehr Demokratie“ als Gäste

Auch dieses dritte Schwerpunktthema, das Freihandelsabkommen, rührt nicht nur an die für die Freien Wähler wichtigen Bevölkerungs- und Wählergruppen. Wer die Arbeit der Fraktion verfolgt hat, weiß, dass beinahe wöchentlich zum Thema eine Diskussionsveranstaltung zum Thema irgendwo in Bayern mit prominenter Beteiligung stattfindet. Um hierzu die Thematik und das eigene Bewußtsein zu erweitern, haben die Freien Wähler prominente Gäste zur Klausur eingeladen. Mit den Club of Rome-Vorstandsmitgliedern Frithjof Finkbeiner und Philipp Schoeller sowie Roman Huber, Bundesvorstand von „Mehr Demokratie e.V.“, will die Fraktion ihren Kampf gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA besprechen sowie die globale Situation und die Rolle Bayerns darin.

Weitere Themen der Klausur: der Hochwasserschutz und die Gefahren einer weiteren Grundwasserabsenkung der Salzach sowie eine Diskussion über die Erlangung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern. Die Ergebnisse der Klausur werden in einer Pressekonferenz im Kapuzinerhof in Laufen an der Salzach im Berchtesgadener Land vorgestellt.

Personaldebatte und Aufgabenverteilungen

Weniger für die Öffentlichkeit bestimmt – zumindest vorläufig – sind Personalthemen. Dass zur Hälfte der Legislatur neue Aufgabenverteilungen erfolgen, ist normal. Diesmal werden sie den Freien Wählern fast aufgezwungen. Der umtriebige und ausgewiesene Schulexperte Günther Felbinger ist wegen der Verwendung von Abgeordneten-Geldern schwer angeschlagen und ist ggf. in seiner Vorbild-Wirkung im Schulbereich nur schwer vermitelbar. Ähnliches gilt für Bernhard Pohl im Innenausschuss. Auch er ist als Jurist undLaw-and-order-man“ nach seiner wiederholten Verurteilung wegen eines Verkehrsdelikts schwer angeschlagen. Eine Schlüsselrolle kommt hier plötzlich wieder Eva Gottstein zu. Die Abgeordnete hatte zwar zu Beginn der Legislatur als Schulpolitikerin schweren Herzens Felbinger den Vortritt lassen müssen, mittlerweile aber Gefallen an ihrer neuen Aufgabe alls stellvertretende Vorsitzende im Innen-/Kommunalausschuss gefunden. Für diese Rolle wiederum stünde ggf. wieder – wie in der letzten Legislatur – der nachgerückte Joachim Hanisch zur Verfügung. Eine Entscheidung über Neuverteilungen soll zwar erst im Herbst fallen. Aber die interne Diskussion ist schon längst im Gange.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

11. Januar 2016 um 10:47h