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Innere Sicherheit: Bayern will aufrüsten – Zustimmung und Kritik

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Bei seiner Klausurtagung in St. Quirin am Tegernsee hat der Ministerrat aufgrund der Geschehnisse in Würzburg, München und Ansbach und des auch damit in Verbindung gebrachten islamistischen Terrorismus in Bayern Erweiterungen des Sicherheitskonzepts beschlossen. Davon berührt sind die Bereiche „Polizei, Justiz und Verfassungsschutz“ sowie „Integration und Prävention“ und „begrenzte Zuwanderung und Grenzsicherheit“. Im Bereich der Justiz- und Sicherheitsbehörden wird personell und materiell aufgerüstet und eine Verschärfung der Rechtsgrundlagen in die Wege geleitet. Dazu zählen auch Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr. Insgesamt, so das Kabinettskommunique, starte damit die größte Sicherheitsoffensive in der Geschichte Bayerns. Im Bereich Integration und Prävention sollen zu den bestehenden Maßnahmen gegen Salafismus, Islamismus und Extremismus bayernweite Präventionsstrukturen aufgebaut werden, um gezielt auch das Umfeld von Gefährdern zu sensibilisieren. Daneben will Bayern den Druck sowohl zur Einführung einer Obergrenze von Flüchtlingen (200000) als auch zur Einführung grenzsichernder Maßnahmen erhöhen mit dem obersten Ziel, „keine unkontrollierte Einreise“ zuzulassen. Dazu kommen Forderungen wie Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei angesichts der dortigen Entwicklungen sowie Fluchtursachenbekämpfung. Die Landtagsopposition begrüßte u.a. Verbesserungen bei der Polizeiausstattung, warnte aber auch vor übereiltem Aktionismus.

2000 zusätzliche Polizisten – verbesserte Ausrüstung – internationale Vernetzung

Bis 2020 sollen im Freistaat jährlich 500, also insgesamt 2000 zusätzliche PolizistInnen eingestellt werden. Dazu wird die Ausrüstung mit ballistischen Helmen, neuartigen Schutzwesten, modernen Dienstwaffen und gepanzerten Fahrzeugen verbessert. Mit mobilen Geräten und Apps werde jeder Polizist einsatzrelevante Informationen sofort in der Hand haben. Hinzu kommen eine Verstärkung der Observations- und Spezialeinsatzkräfte, mehr Internetpolizisten. Das Kompetenzzentrum Cybercrime beim Landeskriminalamt sowie die Zentralstelle bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg werden verstärkt, u.a., um eine stärkere Überwachung und Kontrolle des sogenannten „Darknets” zu erreichen. Das Kabinett kündigte auch an, die polizeilichen Kapazitäten im Bereich der Sozialen Medien weiter auszbauen. Eine schnelle Rechtsprechung und ein konsequenter Vollzug sowie die Schaffung einer neuen „Zentralstelle Extremismus” bei der Generalstaatsanwaltschaft München sowie gestärkte Staatsanwaltschaften und Gerichte wurden angekündigt. Geplant ist zudem, die Videoüberwachung an Bahnhöfen, in Zügen des öffentlichen Nahverkehrs oder an gefährlichen Orten auszubauen. Ein neues Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) soll mehr Schutz des bayerischen Behördennetzes und der IT-Systeme des Freistaats erbringen.  Die EU müsse die gesetzlichen und technischen Voraussetzungen für eine weitergehende Vernetzung der nachrichtendienstlichen und polizeilichen Datenbanken aller EU-Staaten schaffen.

Verschärfung von Rechtsgrundlagen – Einsatz der Bundeswehr

Weiter will Bayern eine Verschärfung der Rechtsgrundlagen durchsetzen. Gewalttätige Angriffe auf Polizisten, Justizbedienstete und Rettungskräfte müssten wesentlich schärfer bestraft werden. Die Speicherung und Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten müsse praxisgerechter ausgestaltet werden. Auch die Anbieter von E-Mail-Diensten und die Betreiber Sozialer Medien sollen verpflichtet werden, Verkehrsdaten zu speichern. Der Straftaten-Katalog, der zu einer Verkehrsdatenspeicherung ermächtigt, müsse erweitert werden, etwa um den Tatbestand der Terrorismusfinanzierung. Das Kabinett will über eine Änderung des Grundgesetzes auch den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Abwehr terroristischer Gefahren und zur Grenzsicherung über die bereits bestehenden Einsatzmöglichkeiten hinaus erleichtern.

Landtags-Opposition: Verstärkung der Polizei ist überfällig

Angesichts dieser Ankündigungsfülle beschränkte sich die Opposition auf aus ihrer Sicht Wesentliches. Tenor von SPD, Freien Wählern und Grünen: die personelle Aufstockung der Polizei ist überfällig. Darauf, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher weise die SPD angesichts von 1,5 Millionen Überstunden und 2500 nicht besetzter Stellen seit Jahren hin. Und für Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger ist die angekündigte Aufstockung viel zu zaghaft: „das brauchen wir ja schon für den Schwangerschaftsersatz“. Mindestens das Doppelte wäre nötig. Die Grünen hatten solche Forderungen schon im Zusammenhang mit ihem Anfang Juni durchgeführten Polizeikongress in München erhoben.

SPD: Einsatz der Bundeswehr fast ein „Mißtrauensvotum gegenüber der Polizei“

CSU-Aktionismus statt angebrachter Besonnenheit“ konstatierte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Franz Schindler. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Landtag nahm dabei Bezug auf die Absicht, künftig neben Telefonanbietern auch die Anbieter von E-Mail-Diensten und sozialen Medien zu verpflichten, Verkehrsdaten zu speichern und die Frist zur Speicherung der Daten von bisher zehn Wochen deutlich zu steigern. Eine Ausweitung der anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten (Vorratsdatenspeicherung) sei zudem kein geeignetes Mittel, um einen Anschlag wie im Zug bei Würzburg, ein Sprengstoffattentat wie in Ansbach oder einen Amoklauf wie in München zu verhindern. Anschläge wie in Nizza oder Paris hätten auch in einem Land wie Frankreich, das solche Daten zwölf Monate speichert, nicht verhindert werden können. „Wenn die Polizei nicht weiß und nicht wissen kann, wonach sie suchen soll, hilft auch die größte Menge an Daten nicht weiter”, erklärte Schindler. Die Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr von Terrorgefahren bewertete er fast als ein „Misstrauensvotum gegenüber der Polizei”. Gerade der Einsatz in München habe gezeigt, dass die bayerische Polizei schnell und angemessen auf eine Terrorgefahr reagieren könne und nicht auf die Unterstützung durch die Bundeswehr angewiesen ist.

Grünen warnen vor Aushöhlung der Bürgerrechte

Die innenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Katharina Schulze, warnte davor, die terroristischen Taten von Ansbach und Würzburg und die offenbar rechtsextremistisch motivierte Amoktat von München zum Vorwand für eine Aushöhlung bürgerlicher Freiheitsrechte zu nehmen. Man müsse hier „Vernunft statt Vorschlaghammer“ walten lassen. Doch eine Aufstockung der Polizeikräfte und die Intensivierung der Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität, wie sie im jetzt vorgestellten Sicherheitskonzept für Bayern vorgesehen sind, seien zu begrüßen. Vermisst wird von den Grünen eine notwendige Verschärfung des Waffenrechts mit besserem Informationsaustausch, Verbesserung der Rückverfolgbarkeit von Waffen, einheitlicher Kennzeichnung sowie Standards für die irreversible Deaktivierung von Feuerwaffen.

Mit einem Bündel repressiver Maßnahmen hingegen wird mehr Sicherheit am Ende nur vorgegaukelt“, so Schulze. Alle Maßnahmen, die die persönliche Freiheit einschränkten, müssten intensiv auf ihre Sinnhaftigkeit abgeklopft werden. Das gelte sowohl für mehr Videoüberwachung als auch die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung und Gesetzesverschärfungen. Es sei eine Errungenschaft der westlichen Welt, dass Staat und BürgerInnen sich auf Augenhöhe begegnen und individuelle Freiheit als hohes Gut wahrgenommen wird. „Gerade diese Staatsordnung und unser freies Leben greift der islamistische Terror an“, betont Katharina Schulze. „Wenn wir das nun  Schritt für Schritt preisgeben, haben die Terroristen ein Teilziel erreicht.“

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

29. Juli 2016 um 06:46h