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Landesentwicklungsprogramm: neue Strukturen für Bayern

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Mit der gestern vom Kabinett beschlossenen Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms (LEP) soll ländlichen und strukturschwachen Gegenden Bayerns neue Möglichkeiten gegeben werden, sich weiterzuentwickeln. Wichtig sind diese Maßnahmen laut Kabinettskommunique aus Wettbewerbsgründen vor allem auch in den Grenzregionen zu Tschechien und Österreich. Strukturschwache und grenznahe Regionen vor allem in Nord- und Ostbayern sollen damit einen neuen Schub erhalten. Daneben stehen die Änderungen der Regelungen zum „Anbindegebot“ von Gewerbeflächen und die Festschreibung von Abständen zu Stromtrassen. Bei den Oppositionsfraktionen im Landtag stieß der Entwurf, der jetzt den Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet wird, auf heftige Kritik: „Titel ohne Mittel“ (SPD), „Symbolpolitik statt echter Landesentwicklung“ (Freie Wähler), „Kommunen zu erbarmungslosem Konkurrenzkampf gezwungen” (Grüne).

Kreis der strukturschwachen Gebiete mit erhöhtem Förderungsbedarf ausgeweitet

Änderungen sind vorgesehen beim Zentrale-Orte-System, zum Raum mit besonderem Handlungsbedarf (RmbH) und beim Anbindegebot. Hinzu kommt, dass erstmals Abstandsregelungen zu Stromtrassen im LEP festgeschrieben werden. Ziel des Zentrale-Orte-Systems ist eine flächendeckende, wohnortnahe Daseinsvorsorge (z.B. Schulen, Krankenhäuser, Behörden). Mit der Aufstufung von 59 Gemeinden zu Mittel- und Oberzentren, der neuen Zuordnung von einigen Gemeinden zu Mittelzentren und der Festlegung von den drei Metropolen München, Augsburg und Nürnberg/Erlangen/Fürth/Schwabach erhält Bayern eine neue Struktur. Die RmbHs, also die besonders weiterzuentwickelnden strukturschwachen Gebiete, werden erweitert. Unter sie fallen künftig alle Gebiete, die hinsichtlich bestimmter Einzelkriterien (Strukturindikator) weniger als 90 Prozent (bisher 85 %) des bayerischen Durchschnitts erreichen. Das heißt gegenüber dem LEP von 2013 werden weitere 11 Landkreise (einschl. zweier kreisfreier Städte) sowie 150 Einzelgemeiden dem RmbH zugeordnet. Das heißt vor allem, dass die Konditionen in den verschiedenen Förderprogrammen etwa bei Breitbandausbau verbessert werden, wie Finanzminister Dr. Markus Söder erläuterte.

400 m Mindestabstand zwischen Wohnhäusern und Stromtrassen

Bislang gab es in Bayern keine klaren Regeln für den Mindestabstand von Höchstspannungsleitungen zu Wohngebäuden oder Schulen. Vorgesehen ist nun, dass zum Schutz des Wohnumfeldes künftig innerhalb von Ortschaften ein Mindestabstand von 400 Metern von Höchstspannungsleitungen zu Wohngebäuden oder Schulen gelten soll (außerhalb von Ortschaften 200 Meter). Außerdem wird als neuer Grundsatz im Landesentwicklungsprogramm festgelegt, dass es künftig keine neuen Überspannungen von Siedlungen mehr geben soll. Wo bestehende Freileitungen über Siedlungen ersetzt werden, sollen diese möglichst aus dem Ort heraus gelegt werden.

Heftige Auseinandersetzungen vor allem bei der abschließenden Behandlung im Landtag wird es geben bei den erweiterten Ausnahmen vom „Anbindegebot“. Dieses besagt vom Grundsatz her, dass Gewerbe- und Industriegebiete nicht frei in der Landschaft stehen dürfen, sondern an eine Siedlung angebunden sein müssen. Künftig gelten Ausnahmen laut Kommunique auch für Gewerbe- und Industriegebiete an Ausfahrten von Autobahnen und vierstreifigen Straßen sowie Gleisanschlüssen, interkommunale Gewerbe- und Industriegebiete und große Freizeit- und Tourismusprojekte, die spezifische Standortanforderungen haben oder wegen eigener schädlicher Umwelteinwirkungen (Lärm) nicht angebunden werden können. Einzelhandel soll bei den Gewerbe- und Industriegebieten ausgeschlossen bleiben, um den innerstädtischen Einzelhandel nicht zu gefährden.

Lockerung des Anbindegebots – Grüne: „erbarmungsloser Konkurrenzkampf“

Mit dieser Lockerung, so Söder, werde der ländliche Raum gestärkt und „Bürgermeister und Kommunen bekommen mehr Freiraum und Flexibilität bei der Ansiedlungspolitik von Unternehmen“. Was reichlich unschuldig klingt, wird eine Kehrseite haben, befürchten – nicht nur – die Landtags-Grünen. Ihr Sprecher für Landesentwicklung Martin Stümpfig argumentiert, dass ohne die „sinnvolle Leitplanke“ viele „Kommunen in einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf“ gezwungen werden, den gerade kleinere Gemeinden nur verlieren könnten. Auch die wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Annette Karl, bezeichnete die Lockerung als „grundfalsch“ schon angesichts von bestehendem 40 Prozent-Leerstand bei Gewerbeflächen. Die Staatsregierung solle sich stattdessen um eine verbesserte Ansiedlungspolitik, unter anderem durch die Ansiedlungsagentur des Freistaates Invest in Bavaria, kümmern. Auch könnten, so schlägt Karl vor, Kommunen besser zusammenarbeiten, um bereits bestehende Gewerbeflächen optimal zu nutzen. „Hier wäre die Unterstützung durch die Staatsregierung sehr sinnvoll.”

SPD: formale Aufwertung bringt Kommunen kein Stück weiter

Insgesamt attestiert die SPD-Wirtschaftsexpertin der Staatsregierung eine falsche Weichenstellung: „Dadurch, dass Herr Söder nur Titel ohne Mittel verteilt, werden zwar viele Orte formal aufgewertet – das bringe sie allerdings kein Stück weiter. Was es stattdessen bräuchte, wäre die Garantie, dass die Orte durch die Aufwertung auch ihre neuen Aufgaben erfüllen können – dafür benötigen sie eine ausreichende finanzielle Ausstattung und nicht nur einen hübschen Titel!”

Freie Wähler: statt inflationärer Entwicklung substanzielle Reform gefordert

Der stv. Fraktionsvorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecher der Freien Wähler, Alexander Muthmann, sieht die bayerische Entwicklung durch eine „inhaltsleere Symbolpolitik Söders“ gefährdet. Er beklagt auch eine geradezu inflationäre Entwicklung. Wenn beinahe jeder zweite Ort Ober-, Mittel- oder Grundzentrum sei, wenn halb Bayern Raum mit besonderem Handlungsbedarf sei und wenn weiterhin nur die Autobahnen als Entwicklungsachsen gesehen würden, laufe einiges falsch. Muthmann fordert eine substanzielle Reform des Zentrale-Orte-Systems und eine stärkere Förderung von wirklich strukturschwachen Regionen.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

13. Juli 2016 um 06:38h