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Aiwanger und die Freien Wähler – ein Blick über Bayern hinaus

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Wenn sich einer das antun will, bitte schön“ – So hatte der Landtagsfraktionschef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, schon früher Vorwürfe zur Ämterfülle abgetan. Und auch bei einem gestrigen Pressestammtisch begegnete er entsprechenden Vorwürfen mit den Worten – laut Teilnehmern –, er mache neben seinen Aufgaben als Bundesvorsitzender auch vor Ort seine Arbeit „bis zum Anschlag“ und „mit geballter Kraft“. Man gewinne den Eindruck, so vermitteln dies die Nürnberger Nachrichten in ihrer heutigen Ausgabe, Aiwanger verkörpere die Freien Wähler und glaube letztlich, ohne ihn wären die Freien Wähler längst Geschichte. Solches und andere gegen Aiwanger gerichtete Anwürfe verdienen näherer Betrachtung – auch aus der Distanz.

Rheinland-Pfalz ist neben Bayern das Bundesland mit der gefestigsten Tradition und Struktur einer Freien Wählerschaft. Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts tief verwurzelt in den Kommunen – die Mischung aus Solidität und auch Festhalten an Bewährtem prägte die Mandatsträger und ihr Bild in der Öffentlichkeit. Hinzu gekommen scheint eine gewisse Öffnung für Neues, das die Freien Wähler auch für neue Wählerschichten interessant macht.

OB-Wahl in Neustadt/Weinstrasse: Sensationssieg des FW-Kandidaten

Festmachen lässt sich das am Beispiel Neustadt Weinstrasse, dem früheren Sitz der Bezirksregierung Rheinhessen-Pfalz ((2000 aufgelöst)) und immer noch eine Beamtenstadt. Fest in CDU-Hand schien über die Jahrzehnte etwas anderes als ein „schwarzer“ Oberbürgermeister gar nicht denkbar. Die Kommunalwahlen 2013 allerdings führten zu einer ausgesprochen bunten Zusammensetzung des Stadtrats (CDU 16, SPD 10, FW 8, Grüne 6, FDP 2, LINKE 2). Die LINKE löste sich auf, nachdem kurz danach ein Mitglied zu den Freien Wählern wechselte und eines parteilos weiter arbeitete. Und – es kam zu einer Jamaika-Koalition. CDU, Grüne und FDP verabredeten eine Zusammenarbeit für die folgenden 5 Jahre.

Vor diesem Hintergrund konnten sich SPD und Freie Wähler als Oppositionsfraktionen profilieren, was den Freien Wählern mit ihrem Abgeordneten Marc Weigel an der Spitze offenbar besser gelang. Am 24. September, dem Tag der Bundestagswahl, wurde in der 53000-Einwohnerstadt (incl. Eingemeindungen) ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Zeigten schon erste Umfragen einen überraschenden Vorsprung des FW-Kandidaten Weigel (39), so galten die dann von ihm erreichten fast 60 % als Sensation. Die Kandidaten von CDU und SPD erreichten jeweils etwa 20 %.

Das alte Geschäftsmodell der FW hoch Plus

Es gibt im Bereich Neustadt keine 3. Startbahn oder Vergleichsweises, mit dem sich eine Partei mit eindeutiger Aussage profiieren konnte. Die Freien Wähler forderten beispielsweise mehr Gewerbesteuer und bezahlbaren Wohnraum. Hinzu kamen eine solide Stadtratsarbeit und ein offenkundiges Kommunikationstalent des Gymnasiallehrers Weigel. Im Prinzip das alte Geschäftsmodell der FW hoch Plus.

Interessant ist auch der Zeitpunkt der Wahl, eben der Tag der Bundestagswahlen. MAX fragte zwei Wochen zuvor den Kandidaten Weigel an seinem Informationsstand am samstäglichen Wochenmarkt, ob er denn auch für die Bundestagswahl werbe. „Überhaupt nicht“ – so die klare Aussage und auf Nachfrage „ich werde auch von niemandem danach gefragt“. Jetzige Nachfragen ergaben, dass es dazu auch eine Absprache gegeben hatte. Die FW-Kandidatin für den Wahlkreis Neustadt-Speyer, Marion Schleicher-Frank, sprach von etwas engen Ressourcen und dass man „aus der Not eine Tugend gemacht“ habe. Weigel konzentrierte sich auf die Stadt und sie auf das Umland. Und der Erfolg – sie meinte Weigel – habe dem ja recht gegeben. Wie auch immer. Auch sie fuhr kein schlechteres Ergebnis ein als 4 Jahre zuvor. Dies ist jedoch auch ein Beispiel dafür, dass die Freien Wähler über eine feste Stammwählerschaft verfügen „Klein aber fein“ nannte es die Immobilienwirtin Schleicher-Frank. In der Tendenz stimmt dem auch Prof. Dr. Michael Piazolo zu, stv. Fraktionsvorsitzender der FW im Bayerischen Landtag. Daneben stehe aber das Problem, dass dies eine Erweiterung des Wählerstamms erschwere.

Dies meint auch der Anwalt Stephan Wefelscheid, Landesvorsitzender der Freien Wähler in Rheinland/Pfalz. Er wies auf die leichte bundesweite Zunahme der Freien Wähler hin (etwas über 1 %). Immerhin sei man jetzt stärkste nicht im Bundestag vertretene Partei. Für Rheinland/Pfalz gebe es einen deutlichen Schub für die Landtagswahlen (2021) nach zuletzt 4,0 % bei Erst- und 2,2 % bei den Zweitstimmen.

Pfälzischer FW-Landesvorsitzender: Bin froh, dass Aiwanger „die Fackel trägt“

Zu Hubert Aiwanger, so Wefelscheid, pflege er ein „sehr freundschaftliches, enges Verhältnis“. „Ich bin froh, dass er die Fackel trägt“. Für die anderen Landesvorsitzenden könne er nicht sprechen, aber er sehe dort keine Stimme, die einen anderen fordere. Im übrigen könne diese Aufgabe nur ein hauptamtlicher Politiker, auf Mandat und Diäten gestützt, erfüllen.

So richtig bewusst wird einem das, wenn man sich durch die einschlägigen Internetseiten quält. Neben dem seit 2010 erfolgten Aufbau der Landesverbände und der damit verbundenen notwendigen Überzeugungsarbeit, stand der Aufbau der Bundesstruktur. Die Bundespressestelle sitzt küstennah in Ganderkeese und alles andere sonstwo im Lande nur nicht in Berlin. Hinzu kommen die täglichen Probleme, wenn wie in Brandenburg nach einem missglückten Experiment, sich am 7. Juli 2017, also 10 Tage vor Ablauf der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge zur Bundestagswahl, der Landesvorstand auflöst. Was das Wahlergebnis für die dortigen FW keineswegs negativ beeinflusste. Im Gegenteil: dort (1,9/1,2) und noch mehr in Sachsen-Anhalt (2,3/1,2) und Thüringen (2,6/1,6) sind die Freien Wähler in den östlichen Bundesländern mittlerweile stark vertreten. Spürbare Verluste gab es nur in Sachsen.

Anzeichen für Rechtsruck Aiwangers/der Freien Wähler !?

Hier ist die Frage, ob ein Rechtsruck der Freien Wähler erfolgt war oder etwas „gebracht“ hätte. Ein Rechtsruck wie er Aiwanger allgemein und speziell für Bayern vor allem im Zusammenhang mit dem auch damit begründeten Partei- und Fraktionsaustritt des Abgeordneten Alexander Muthmann nachgesagt wird. So richtig festmachen lässt sich der Vorwurf nicht. Überfliegt man die vielen Papiere (Grundsatzprogramm, das Wahlprogramm für die Bundestagswahlen, ein Eckpunktepapier bis zum Europawahlprogramm) so finden sich keine „rechten“ Thesen oder Forderungen. Schon gar keine Hinweise hierfür gibt das Arbeitsprogramm der Fraktionsklausur her oder gar bisher gestellte Forderungen oder Gesetzentwürfe. Daneben stehen im Raum allgemeine Äußerungen Aiwangers zur Gefahr durch die AfD, die zumindest Grund zum Aufhorchen gaben. Andererseits, aber das ist eine eher persönliche Einschätzung, schien es so, dass Aiwangers Stellvertreter in derFraktion rechte Tendenzen „einfangen“ würden oder ggf. eingefangen haben. Auf eine entsprechende Bemerkung erntet man von Piazolo ein fröhliches Auflachen. Aber fröhlich wirkt der Professor fast immer.

Aiwanger und die Götter neben ihm

Nun gibt es auch den  Vorwurf, Aiwanger dulde keine Götter neben sich. Zumindest konnte dieses Bild in den ersten Jahren der Zugehörigkeit der Freien Wähler im Landtag von der Fraktion nicht verdrängt werden. Mittlerweile scheinen etwa im Vergleich zwischen CSU und FW in Fraktionsführung, Machtansprüchen im Vorstand etc keine Unterschiede zu bestehen. Und so recht lässt sich das nicht in Einklang bringen mit den Versuchen, Zugpferde für die Freien Wähler zu gewinnen. Am Anfang schien die Absicht, den Adenauer-Enkel Stephan Werhan (hatte die CDU im Streit verlassen) als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 aufzubauen, durchaus erfolgversprechend. Ob dessen Begründung für seinen späteren Rückzieher „ich wollte mich für Aiwanger nicht verheizen lassen“ stichhaltig oder die ganze Wahrheit waren sei dahingestellt. Jedenfalls gab es weitere Versuche Aiwangers neben sich eine Führungsperson zu etablieren, – von Gabriele Pauli bis Olaf Henkel. Und zuletzt der frühere „Fernsehrichter“ und Kommunalpolitiker der Freien Wähler Alexander Holt mit dessen Aufstellung zur Bundespräsidentenwahl als Kandidat der Freien Wähler. An dieser Personalpolitik Aiwangers regte sich auch Kritik Wefelscheids. Man solle, so der rheinland-pfälzische Landesvorsitzende, „doch besser auf eigene Leute setzen“. Womit man wieder bei Holt angelangt wäre – und der Frage, ob dieser bei der Landtagswahl 2018 kandidiert.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

19. Oktober 2017 um 11:04h

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