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„Aufbruch Bayern“ – Nichts Neues im Süden aber viel Interessantes

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Sie war etwas kurz geraten. Während man sich bei Strauß oder Stoiber auf gute eineinhalb Stunden einrichten musste, beließ es ihr Nachfolger Horst Seehofer bei 30 Minuten, um dem Landtags-Plenum und der zugeschalteten Öffentlichkeit in einer Regierungserklärung den „Aufbruch Bayern“ zu erläutern. So heißt das Regierungsvorhaben, das so quasi neben dem Staatshaushalt herlaufend wichtige Akzente für das „Zukunftsland Bayern“ setzen will. Seehofers Kürze lässt sich auch damit erklären, dass der Ministerpräsident (allzu) sehr die bisherigen Erfolge seiner Regierung – ohne das Mittun der Bevölkerung zu vergessen – pries, breit auf die vergleichsweise excellente Ausgangssituation des Freistaats mit seinen vorhandenen Ressourcen einging, jedoch der die Menschen noch mehr interessierende Teil „Was habt ihr vor?“ in seinen konkreten Aussagen eher zu wenig anzubieten hatte. Warum auch immer. Der Opposition bot sich Anlass zur Kritik, was diese auch reich- und weidlich nutzte. Beigesprungen ist dem Ministerpräsidenten in einem eher überraschenden Auftritt sein Stellvertreter. Martin Zeil verkaufte aber seinen eigenen „Aufbruch“.

Als Heranwachsender stellt man sich gerne am Steuer eines Porsche vor – in Bayern wahlweise eines A 1 bis Z 9 – und vernachlässigt gerne den Gedanken an die hierfür notwendigen Anstrengungen. Doch auch hier kommt es auf die persönliche Ausgangssitation an. Steht das Gefährt als Geburtstagsgeschenk vor der Tür, oder können einem die Eltern nur den „Arbeits-(Weg) weisen. An solches konnte man am gestrigen Dienstag Nachmittag denken, als der Ministerpräsident das im Dreiklang Bürger, Staat und Wirtschaft geschaffene „erfolgreiche Bayern“ beschrieb und seine PläneTräume/Vorstellungen ausbreitete.

Der Süden leuchtet“ – dank seiner Bürger und wem?

Weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise, Entlassungen, monatelange Kurzarbeit, Lohnverzicht, Sorge um Spareinlagen – nach all dem dem stehe Bayern heute „hervorragend da“. „Der Süden leuchtet“ habe das Handelsblatt geschrieben. In Rankings lägen sieben bayerische Städte unter den besten zehn. Zwei Ursachen habe der Erfolg – die Menschen in Bayern und die aktive Politik der Staatsregierung. So stand es im Redemanuskript. Seehofer merkte noch rechtzeitig, wo er sich befand und wies schnell auch der „Mehrheit im Bayerischen Landtag“ ihren Anteil am Erfolg zu.

Bayerns Stärke sind seine Menschen.“ Ganz abgesehen davon, dass auch hanseatisches Weltgefühl zu Prosperität beispielsweise Hamburgs beigetragen hat und man die Bewohner des Nordens schätzen vielleicht sogar lieben kann – wie Seehofer bayerisches Lebensgefühl packte, ohne allzusehr das „wir sind wir“ zu betonen, das hatte schon Klasse und auch seine Berechtigung. Nirgendwo engagieren sich so viele Menschen im Ehrenamt wie in Bayern. Niemand von der Opposition hat da auch widersprochen.

Man sieht ja seinen eigenen persönlichen Anteil und nicht nur sich selbst wie von seehofer insuiniert als Nörgler und ewiger Blockierer der bayerischen Erfolgsgeschichte. Und da wurde es politisch. Während der Regierungschef den sechsten aufeinanderfolgenden schuldenfreien bayerischen Staatshaushalt pries, kein gutes Haar am vom dortigen Verfassungsgericht abgelehnten rot-grünen 7,8-Milliarden-Euro-Schuldenhaushalt ließ und bei gleicher Gelegenheit wieder die Änderung des nur die solide arbeitenden Südländer belastenden Länderfinanzausgleichs einforderte, hielt dem die Opposition ganz andere Sichtweisen entgegen.

Blutleere Rhetorik von Unternehmensberatern und Werbefachleuten

Wohl selten hat es im Bayerischen Landtag eine so selbstzufriedene und selbstvergessene Regierungerklärung gegeben“ warf Oppositionsführer Markus Rinderspacher (SPD) dem Ministerpräsidenten vor. Er fühle sich an die „blutleere Rhetorik von Unternehmensberatern und Werbefachleuten“ erinnert. Doch die Menschen in Bayern mit ihrer Bodenständigkeit hätten ein sehr feines Gespür dafür, dass man mit „der Überheblichkeit aus dem Fantasialand“ keine Probleme lösen könne. Hatte Rinderspacher vor 14 Monaten bei seiner allerersten Erwiderung auf eine Regierungserklärung noch mit einer gewissen Grobklotzigkeit überrascht, so war diese Rede von feinstem Schliff.

Mit der Behauptung vom schuldenfreien Staatshaushalt bediene Seehofer die Menschen mit einer „dreisten Unwahrheit“, und zwar wider besseres Wissen. Allein durch das Versagen der CSU bei der Landesbank-Aufsicht sei die Verschuldung des Freistaats schlagartig um 40 Prozent gestiegen. Zehn Milliarden neue Kreditmarktschulden pro Kopf der Bevölkerung. Glaube der Ministerpräsident im Ernst, die Bevölkerung hätte das LB-Jahrhundertdesaster bereits vergessen? Genauso wenig wie den 2007 von der CSU organisierten Aufbruch mit „niegelnagelneuen Staatsstraßen, mit einem kostenfreien Kindergartenjahr, mit 1000 Euro Begrüßungsgeld für führerscheintaugliche Jugendliche, mit einem neuen Fußballstation und einem modernisierten Flughafen“. Allein – dieser Aufbruch fand in Kärnten statt. Bezahlt mit bayerischen Steuergeldern.

Das schmerzt und wohl noch lange. Über verschüttete Milch sollte man nicht jammern und den Blick in die Zukunft richten. Den Ausweg versperrte Rinderspacher dem „Mann ohne Vergangenheit“ nicht, allzu lange tickt die LB-Schuldenuhr. Die Opposition versagte sich sogar den Hinweis auf möglicherweise mangelnde Lernfähigkeit der früher allein staatstragenden Partei. Noch als das Desaster sich abzeichnete, tat diese sich schwer damit, künftig den mit Schuld tragenden Aufsichtsrat ausschließlich mit eigenen Parteigängern zu besetzen. Ähnliches setzt sich ja bis heute – BLM-Vorsitz – fort. Wobei Parteibuch Qualifikation keineswegs ausschließt. Dass es dafür Ausschreibungen oder anderes gibt, darauf hat die Opposition schon oft hingewiesen.

Die Wahrheit liegt im Haushalt

Während der Oppositionsführer geschmeidig die Wirrungen um den Staatshaushalt umschrieb, fand Thomas Mütze vom Umfrageführer bei diesem Thema zu dem, was man mittlerweile als Leitmotto des neueren Fraktionssprechers der Grünen bezeichnen kann: „Die Wahrheit liegt im Haushalt.“ Dabei ging der frühere Haushaltssprecher seiner Fraktion ziemlich schonungslos mit dem „so genannten Aufbruch“ der Staatsregierung um. Da wäre ein Milliardenprogramm „aus dem bestehenden Haushalt heraus geschnitzt“ worden. Finanziert aus den letzten Privatisierungserlösen und mit schon erkennbar Unterdeckung im kommenden Doppelhaushalt in Höhe von 2 Milliarden Euro.

Folgt man Mütze und schaut sich das „FBI“ an, wird verständlich, was er mit dem Verschiebebahnhof Familie, Bildung sowie Innovation und Investition meint. Bayern soll das „kinder- und familienfreundlichste Land Deutschlands“ werden. Dafür will Sehofers Regierung die staatlichen Ausgaben für Familien in zwei Jahren um 10 Prozent steigern, die Förderung für Kinderbetreuung steige bis 2012 auf über 1 Milliarde Euro und das Landeserziehungsgeld habe Bestand. Bei Mütze hört sich das anders an. Was hätten Krippenausbau und Investititionen ins BayKiBiG im Aufbruchs-Programm zu suchen? Das seien sowieso umzusetzende gesetzliche Forderungen. Komme hinzu, dass im Haushalt selbst die Sprachförderung im Kindergarten um 663 Mio. Euro gekürzt werde. Dass der Aufbruch, wie vorher von Seehofer postuliert, gleichermaßen für „Hassan und Anna“ gelten solle, erweise sich so als „heiße Luft“.

Staatsregierung macht „Pflichtaufgaben des Staates zur Kür“

Mütze geriet in Fahrt. Wenn er sich dabei ziemlich linkisch dreht und wendet, so gilt dies weniger für die Gedankenführung. Denn auch bei Wohnraum- oder Städtebauförderung täte Seehofer so, als gebe er mehr aus, dafür bleibe netto weniger übrig. Weniger netto vom brutto, da kenne sich Seehofer ja aus. Ein ähnliches „Nullsummenspiel“ bei der Bildung. Summa summarum erkläre die Staatsregierung mit ihrem Programm „Pflichtaufgaben des Staates zur Kür“. Mit sowas kann man leicht punkten – was für Argumentation und Gegenargumentation gilt. Doch nicht umsonst ist die Forderung nach Haushaltsklarheit von prinzipieller Bedeutung – und das Haushaltsrecht wichtigstes Gut des Parlaments.

Wie und ob unter ihm zustehender Federführung dieses mit einem anderen wichtigen Verfassungsgut umgeht, wurde während der gestrigen Debatte nicht einmal im Ansatz deutlich. Noch herrscht allzu viel Verwirrung um die zu erhaltenden oder anzustrebenden „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ in ganz Bayern. Aufgerührt wurde dies aktuell durch das Bekanntwerden eines Berichts des von der Staatsregierung einberufenen Zukunftsrats. Beim „Aufbruch Bayern“ kann man darin zutagetretende Sichtweisen zur unterschiedlichen Entwicklung und Behandlung von Regionen nicht links liegen lassen. Doch letztlich wurde die Debatte darüber letztlich überfrachtet. Es wird den Bewertungen des Gremiums allerdings wohl kaum gerecht wenn man sie wie der Vorsitzende der Freien Wähler „nur mit Schaudern zur Kenntnis“ nimmt.

Bayernwerk zur Förderung des Wettbewerbs verkauft – „Wo ist der Wettbewerb?“

Bei Hubert Aiwangers frei vorgetragenen allzu stammtischhaften Reden, überhört man leicht, dass er oft den Kern genauer trifft als vorbereitet Abgelesenes. Beispielsweise wenn er auf den, einen „angeblich ausgeglichenen Haushalt“ erst ermöglichenden Verkauf der letzten E.On-Anteile zu sprechen kommt. Schon früher, so erinnert er, habe man das Bayernwerk verkauft, damals um Wettbewerb zu fördern. „Und wo ist der Wettbewerb?“ Monopole seien geschaffen worden, und heute stehe man ohnmächtig vor dieser Entwicklung. Und wie Aiwanger das Thema hinüberschmuggelte zu einer anderen Kernaussage, war gewieft. „Regionalität in Bayern“, so verkaufte er diese, müsse man zur Weltmarke machen, „zu einem politischen Kompass“.

Einen solchen, einen politischen Kompass, sollte man Georg Schmid schenken. Seiner weist nur in eine Richtung. Natürlich ist es die Aufgabe des Chefs der (größten) Regierungsfraktion, „seinem“ Ministerpräsidenten die Stange zu halten, ihn gegen Angriffe in Schutz zu nehmen. Das tat Schmid, und gar nicht mal so schlecht, aber letztlich waren seine Angriffe gegen die Opposition und sein Verkauf der Regierungspolitik kaum eine Zeile zu berichten wert. Jede Gelegenheit sich auch nur leicht abzugrenzen und eigenes sowie Profil der Fraktion zu zeigen, wurde vertan. Sie hätte sich aufgetan, durch eine Schwerpunktsetzung auf die eigene Bürgerbefragung, auf die Betonung mancher Urheberschaft der Fraktion. So gesehen war die gesamte so genannte Einbindung der Bürger für die Katz. Zudem hätte der Fraktionsvorsitzende die Möglichkeit, vielleicht sogar die Pflicht gehabt, eine bestehende Meinungs-Bandbreite innerhalb seiner Fraktion zu transportieren. Das wäre ein moderner Stil mit Überraschungseffekt gewesen, vielleicht ein Wagnis.

Ein solches ist die FDP eingegangen. Zur allgemeinen Überraschung trat als Letzter nicht der Fraktionschef der Liberalen ans Rednerpult, sondern Wirtschaftsminister Martin Zeil. Thomas Hacker, anschließend von MAX-Online gefragt, erklärte dies mit einer sich ergebenden politischen Notwendigkeit und auch Gelegenheit. Dass es dazu auch etwas an Überredung gebraucht hatte, wurde deutlich, als er betonte, dies solle aber eine Ausnahme gewesen sein. Auch Hacker wird wissen, dass die Fraktion allzusehr als Anhängsel der von seiner Partei geführten Ministerien betrachtet wird, und er selbst mehr auf sein eigenes Profil achten muss. Doch der Erfolg gestern gab seiner Mit-Entscheidung recht.

Zeil hebt von FDP entwickelte „Forschungs- und Innovationsstrategie“ heraus

Martin Zeil sagte eigentlich nichts Neues. Aber dass er es tat und wie. ließ aufhorchen und führte zu manchem Verschieben einer Deadline von Journalisten. Man konnte sogar, was sonst zu Nullwahrnehmung führt, diesmal bei ihm das Hörgerät herausnehmen. Dabei grenzte er sich in manchem von Seehofer ab. Während der Ministerpräsident die Leistungsanteile zwischen Bürger und Politik verteilte, nannte der FDP-Politiker die Wirtschaft sogar an erster Stelle. Dabei hob er begleitend die von ihm und seinem FDP-Kollegen, Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch, entwickelte „gemeinsame Forschungs- und Innovationsstrategie“ deutlich heraus. Im Zusammenhang mit den früheren, die FDP politisch nicht tangierenden Zielen der Landesbank sprache er von einer „internationalen Großmannssucht der Geschäftspolitik“, wobei er Stoiber nicht nannte aber meinte. Angeblich von externen Beratern empfohlen, setzte Zeil auf klare Abgrenzung, auf deutliche Aussagen. Man konnte seine Darstellung des „Aufbruch Bayern“ nicht als Wiederholung von Seehofers Ausführungen empfinden, sondern als Klarstellung mit Korrekturen. Es war Zeils eigener Aufbruch.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

26. Januar 2011 um 22:27h