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Zukunftsrat: Kabinett und Landtag zum Handeln aufgerufen

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Eigentlich sollte man Seehofer danken. Mit seiner Einberufung eines Zukunftsrats hat er Bayern einen großen Gefallen getan. Und das ist ja nicht wenig, wenn man als Maßstab das Aufgabenprofil eines Ministerpräsidenten heranzieht. Liest man den im Dezember vorgelegten, im Januar bruchstückhaft durchgesickerten und mittlerweile durch die Staatsregierung im Internet veröffentlichten Abschlussbericht dieses Gremiums, so fällt durchaus auf, dass angesichts einer an vielen Stellen schonungslosen Analyse der sogenannten Bayern AG durchaus Mut zum Auftrag gehörte. Zum anderen drängt sich der Gedanke auf, ob hier einer Geister gerufen hat, die er angesichts der ausgesprochenen Handlungsempfehlungen von Henzler, Burda und Co. am liebsten wieder los werden würde. Gestern diskutierte der Bayerische Ministerrat mit Mitgliedern dieses Zukunftsrats einige Schwerpunkte des in sechs Monaten erarbeiteten Berichts. Über einige blumige Verse hinaus wurde dazu nichts bekannt gegeben. Nur, dass der Bericht demnächst gemeinsam der bayerischen Presse vorgestellt werden soll. Daneben wird sich die Frage stellen, inwieweit das Landesparlament und andere auf die Bewältigung solcher Zukunftsaufgaben vorbereitet sind. Es geht zwar auch, aber nicht nur um …

Der Mensch, der nur als Kostenfaktor zählt, schafft sich selbst ab.“

Der Bericht versucht erst mal Ängste zu nehmen. Man hätte es besser wissen müssen. Genauso wie Gewerkschaftler bei einer Unternehmens-Umstrukturierung zuerst auf negative Bestands-Veränderungen deuten, suchten sich auch Politiker zuerst durch sie von vorneherein abzulehnende Aspekte heraus. Es nützte also wenig, wenn der Bericht beispielsweise (Seite 12) als grundlegende „Einsicht“ anführt: „Der Mensch, der nur als Kostenfaktor zählt, schafft sich selbst ab.“ Und es nützte vorläufig auch nichts der Hinweis (S. 7) auf den reinen „Empfehlungs“-Charakter des Berichts und die Handlungszuweisung an andere. Der Zukunftsrat nennt hier logischerweise seinen Auftraggeber, die Staatsregierung. Diese entscheide „auf Grund ihrer politischen Verantwortung“ darüber, „ob und in welcher Weise den Empfehlungen Rechnung getragen wird“. Das setzte natürlich auch voraus, dass das Gutachten der Regierung gehört. Nun hat die längst nicht abgeschlossene Debatte um die „Resonanzstudie“ schon gewisse Maßstäbe gesetzt über Dein oder Mein, und wer was bezahlt. Doch Verantwortung, Rechte und Pflichten rund um dieses Zukunftsgutachten erscheinen als noch komplexer. Und die Staatsregierung hat denn auch sofort den Landtag, den Souverän ins Boot gezogen. Groß genug muss dieses auch sein für die im Gutachten stark geforderten Verbände und Organisationen. Fast wünschte man sich den Bayerischen Senat wieder herbei.

Mit der ÖDP, die dessen Abschaffung in die Wege leitete, gelingt hier mühelos der Übergang ins Inhaltliche des Gutachtens. Die erste Hauptkritik richtete sich ja an einem sehr simplifiziert wiedergegebenen Vorschlag auf, wonach bestimmte Grenzregionen sich wirtschaftlich besser nach Sachsen oder Österreich orientieren sollten. Auch findet sich (S. 11) als Ziel einer Entwicklungsstrategie, „der Bevölkerung standortunabhängig und dauerhaft annähernd gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen“ zu gewährleisten, „ohne die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu beeinträchtigen“. Schon steht die ÖDP bereit und will am morgigen Donnerstag den Start einer Petitionsaktion an den Landtag vorstellen. Deren Ziel ist „nach dem Zukunftsratsdebakel“ per Unterschrift „gleichwertige Lebensbedingungen“ als Verfassungsartikel“ aufzunehmen. Lippenbekenntnisse der Staatsregierung, niemand von der Entwicklung des Landes abzukoppeln, reichten nicht. Dem müssten klare Konsequenzen folgen.

Optimale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung Bayerns identifiziert

Es lohnt, das vom Zukunftsrat aufgebaute Szenario nachzuverfolgen (ab S. 31). In einer Vision waren als Basisszenarien drei Entwicklungsstrategien ausgewählt worden (S. 46 ff). Die Förderung einer Megacity (Bayern wird München), die Vernetzung existierender Zentren mit deren Verflechtung und Ausbau sowie eine Fokussierung rein auf den ländlichen Raum. Abgeklopft wurden die drei Szenarien auf deren Wettbewerbsfähigkeit, deren Lebensqualität und deren ökologische Nachhaltigkeit. Bei beispielsweise klaren Wettbewerbsvorteilen von Megacities mit auftretenden Dis-Synergien oder auch Umweltnachteilen sowie rein auf den ländlichen Raum konzentrierten teuren Investitionen verbunden mit geringen Strahleffekten oder auch starker Zersiedlung und hohem Flächenverbrauch wurde Szenario Nummer Zwei „als optimale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung Bayerns“ identifiziert.

Optimal eingebunden ist der Kern Bayerns mit – natürlich – München, Augsburg, Ingolstadt, Würzburg, das Städtezenrum Nürnberg und Regensburg. Alles andere ist schwieriger ein- und anzubinden oder fällt – so man es denn so interpretieren will – raus. Der Zukunftsrat formuliert es so, dass „in Regionen außerhalb der Reichweite der bayerischen Leistungszentren“ eine „landesübergreifende Betrachtung zu prüfen“ sei. Erörtert wird dies unter dem Kapitel „neue Governance-Struktur“, welches u.a. die bestehende Gestaltung auf der Basis von Land- oder Stadtkreisen auf den Prüfstand stellen und möglicherweise durch eine Verflechtungsmatrix wie beispielsweise unter Beachtung der Pendlerströme ersetzen will. Wo hier Widerstände zu erwarten sind, lässt sich leicht denken. Doch, so schreiben die Auroren ja auch, man gehe mit den Prinzipien moderner Unternehmensführung vor.

Ein Weitermachen wie bisher kann keine Option für die Zukunft sein.

Die Analyse der Trends zeige eindeutig (S. 31), dass ein Weitermachen wie bisher für die Zukunft keine Option sein kann. Bayern stehe zwar noch, insbesondere im nationalen Vergleich, hervorragend da. Im „Dynamik-Ranking“ aber sieht der Zukunftsrat den Freistaat bereits auf den hinteren Plätzen. Das passt ja zu vielen anderen Nachrichten, wie zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, wo sich Bayern nach Jahren an der Spitze mittlerweile die rote Laterne aufstecken musste. Und auch der Zukunftsrat spart nicht mit Hinweisen auf politische Versäumnisse. Das beginnt mit dem bestechenden Mangel an Kitas, fehlenden Qualifizierungen mit Abschlussquoten unter dem OECD-Durchschnitt und endet lange nicht mit der Kritik am Streckennetz im Liniennahverkehr mit geringer Anzahl von Streckenkilometern pro Kopf der Bevölkerung.

Während die Auseinandersetzung des Zukunftsrats mit dem bayerischen Schulsystem selbst etwas diffus erscheint, legt der Bericht manchen Finger auf Wunden im Schulalltag, und der angezeigte Nachholbedarf im Hochschulsektor mit beispielsweise rückläufigen Finanzmitteln für die Internationalisierung der Wissenschaft (S. 63) ist enorm. Manches steht allerdings durchaus im Widerspruch zu Feststellungen, wonach das bayerische Schul- und Hochschulsystem kontinuierlich entwickelt, gefördert und ausgebaut wurde (S. 66). Zur reinen Fundgrube – auch für Kritiker des bayerischen Schul- und Hochschulsystems – geraten die Vorschläge, Hinweise und Notwendigkeiten zur Besserung, die die Mitglieder des Zukunftsrats anstellen.

Solches lenkt natürlich auch den Blick auf die Liste der insgesamt 22 Mitglieder des Zukunftsrats. Leicht kommt ja der Verdacht auf allzu vordergründigen Lobbyismus auf, wenn etwas über den grünen Klee gelobt oder hervorgehoben wird. Wenn zum Beispiel der Bericht auf die Vorteile, die Wiedergeburt und die Notwendigkeit des Genossenschaftswesens eingeht. Fast beruhigt konstatiert man, dass von den einschlägigen Verbänden niemand im Mitgliederverzeichnis vertreten ist. Letztlich klingen die Hinwendungen zu kleinräumigen Genossenschaften und Kooperativen als zukunftsfähige Unternehmen in der Bürgergesellschaft damit um so überzeugender (S. 17 ff.). Vieles was hier zu Strukturreformen und Mentalitätswandel auch mit Blick auf den Gewinn durch Migration geschrieben wird, liest sich sehr eingängig. Nicht jeder muss alles mögen oder Wollen. Doch der Bericht ist zur Auseinandersetzung mit ihm bestimmt.

Die Zukunft Bayerns vagabundiert durch alle Ressorts.

In der Staatsregierung ist vordergründig das Wirtschaftsministerium zuständig. Doch nicht umsonst war die dortige Strukturpolitik unter Landesentwicklung früher im Umweltministerium angesiedelt. Die Zukunft Bayerns vagabundiert durch alle Ressorts. Genau so driften die Eifersüchteleien under den politisch Verantwortlichen hin und her. Es macht die Sache nicht leichter, dass dieses Zukunftsressort jetzt in Händen des kleineren Koalitionspartners liegt. Der Einberufung eines Staatssekretärausschusses für ländliche Entwicklung, unter Leitung von Wirtschaftsstaatssekretärin Katja Hessel, folgte die Erhebung zur Chefsache und zuletzt die Neugründung eines Triumvirats mit Regierungschef Horst Seehofer, Wirtschaftsminister Martin Zeil und Innenminister Joachim Herrmann. Doch in – angekündigten – Sachen Lendesentwicklungsprogramm oder Landesplanungsgesetz tat sich kaum etwas. Dies dürfte sich jetzt ändern.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

09. Februar 2011 um 13:51h

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