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Änderung der Bayerischen Verfassung: Populismus oder „starkes Zeugnis politischer Kultur“

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So viel Pathos am frühen Morgen – dazu muss ich sagen. Handfeste Politik ist uns Grünen lieber.“ Klar, dass Christine Stahl kaum freundliche Reaktionen im Plenum des Landtags erntete, nachdem ihre Vorredner aus den vier anderen Landtags-Fraktionen ihr gemeinsames Projekt beweihräuchert hatten. Bei dem von diesen neu eingebrachtem Gesetzentwurf für eine Verfassungsänderung und dem Zustandekommen handle es sich laut CSU-Fraktionschef Georg Schmid immerhin „um ein starkes Zeugnis politischer Kultur in Bayern“. Keine Kleinigkeiten seien zu ändern, denn die „Messlatte der Hoegnerschen Verfassung ist hoch“ unterstrich Harald Güller, SPD-Nachfahre des einstigen (Mit)Begründers des „Bayerischen Grundgesetzes“. An dieses „verfassungsrechtliche Kleinod“ gelte es behutsam heranzugehen, mahnte Florian Streibl von den Freien Wählern. Dabei machen wir uns „zu etwas nicht Alltäglichen“ auf, stellte FDP-Fraktionsvorsitzender Thomas Hacker fest. Lob und Mahnung erscheinen als angebracht – denn wohl allen führenden Verfassungsrechtlern verklärt sich der Blick beim Reden über dieses Verfassungswerk. Auch oder gerade deshalb sind kritische Stimmen der Grünen, die sich als einzige nicht an dem Gesetzentwurf beteiligen wollen, wichtig. Sie tun – zumindest – der Diskussion gut.

Grüne: „ein in Form gegossener Populismus“ Seehofers

Umfangreiche große Verfassungsänderungen erfolgten beispielsweise 1998. Die Abschaffung des Bayerischen Senats ist dabei vermutlich in prägendster Erinnerung. Als Ausgangspunkt für die jetzigen Änderungen gelten „Anregungen“ von CSU-Chef Horst Seehofer wie beispielsweise bei seiner Aschermittwochsrede 2011 in Passau. Was Stahl in die Worte kleidete, dass nunmehr „einfach ein in Form gegossener Populismus des Herrn Ministerpräsidenten Seehofer“ vorliege. Tatsächlich ist fast alles, was jetzt in der Verfassungsänderungen ansteht, irgendwann bei irgendwelcher ihm passenden Gelegenheit von Seehofer vorgebracht worden. Doch viele seiner Ideen waren auch schnell verworfen oder zurückgezogen worden wie die Verbeamtung von Lehrern, „Freiheit fürs Internet“ oder Volksentscheide auf Bundesebene bis hin zur Integrationspflicht für Ausländer. Doch der Ministerpräsident habe, wie Schmid gestern sagte, „den Verfassungsdialog angestoßen“ bis das Thema später von den Fraktionen aufgegriffen wurde. Diese setzten, bei frühem Sichselbstausschließen der Grünen, eine Kommission ein, die leise ihre – intern oft sehr belastete, und letztlich durch hohe Kompromissfähigkeit Schmids mögliche – Arbeit tat, bis erste Ankündigungen (MAX v. 7. und 11. Dez.) auf das Einbringen eines erarbeiteten Gesetzentwurfs hinwiesen.

Änderungen von „gleichwertigen Lebensverhältnissen“ bis „Schuldenbremse“

Am Mittwoch wurde dieser von CSU, SPD, Freien Wählern und FDP in Erster Lesung eingebracht. Er umfasst folgende Kernbereiche: 1) die „Förderung“ gleichwertiger, nicht gleichartiger, Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern wird als „Staatsziel“-Bestimmung aufgenommen, und zwar für ländliche und städtische Gebiete gleichermaßen; 2) die „Förderung“ des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl wird als „Staatsziel“ verankert; 3) die Mitwirkungsrechte des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union werden gestärkt; 4) die sog. Schuldenbremse wird auch (vgl. GG und Bayerische Haushaltsordnung) in die Verfassung aufgenommen; 5) vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof entwickelte Grundsätze des Anspruchs der Gemeinden gegen das Land auf eine angemessene Finanzausstattung werden durch eine Regelung in der Verfassung abgebildet. – Über alle fünf soll bei den kommenden Landtagswahlen getrennt abgestimmt werden.

Herrmann: Verfassungsbestimmungen ersetzen keine konkrete Politi

Wie das einzuordnen ist, dazu wurden eine Reihe von Begründungen und Einschätzungen in der gestrigen Plenarsitzung genannt. Die neuen Bestimmungen seien, so Stahl, „in weiten Teilen überhaupt nicht einklagbar“ und für sie „eine Bankrotterklärung aktiver, gestaltender Politik“. Innenminister Joachim Hermann setzte dem später entgegen, „dass Verfassungsbestimmungen keine konkrete Politik ersetzen können, ist selbstverständlich“. Es folgte sein Seitenhieb, dass vor einigen Jahren kein Mucks von den Grünen zu hören gewesen war, „als es darum ging, die Grundanliegen des Umweltschutzes in die Bayerische Verfassung aufzunehmen“. Das, so Herrmann weiter, „was ganz offensichtlich von grundlegender Bedeutung für die Weiterentwicklung unseres Landes ist, in entsprechender Weise in die Verfassung einzufügen, ist richtig und wichtig“.

Fördern“ leitet keinen Rechtsanspruch ab

Zur „entsprechenden Weise“ sagt im allgemeinen eine Begründung eines Gesetzentwurfs Näheres. Bei der Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen als Staatsziel erläutert diese hier, dass mit „fördern“ klargestellt werde, dass dies zunächst einmal eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und keine alleinige des Staates. Es bedeute aber, dass der Staat diesem Ziel bei all seinen Handlungen ein besonderes Gewicht beizumessen habe – unterstrichen mit dem Wort „sichern“. Allein – ein Rechtsanspruch könne hieraus nicht abgeleitet werden. Letzteres gilt entsprechend auch nicht für die Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl.

SPD: Parlament und Staatsregierung müssen sich an Leitsätzen messen lassen

Harald Güller hatte zu diesem „Anspruch“ bezogen auf die gleichwertigen Lebensverhältnisse etc. ausgeführt, „uns ist klar, dass sich die politische Realität in Bayern allein durch die Statuierung dieses Verfassungsartikels noch nicht ändert; aber dieses Parlament und die Staatsregierung werden sich zukünftig stärker als bisher an diesem Leitsatz messen lassen müssen“. Der SPD-Abgeordnete hatte vorher vergleichbare hehre Artikel aus der ursprünglichen Verfassung zitiert vom Anspruch auf Ausbildung (Art. 128) bis zur Sozialbindung des Eigentums (Art. 166). Zeitlich noch näher liegend bieten sich 1998 erfolgte Verfassungsänderungen an.

Bilanz zu früheren Verfassungsänderungen

Die von der ÖDP initiierte Abschaffung des Senats wurde oben schon erwähnt. Doch die damaligen „Verfassungsväter“, die Landtagsabgeordneten Dr. Manfred Weiß (CSU) und Dr. Klaus Hahnzog (SPD), schnürten darüber hinaus ein umfangreiches Verfassungspaket. Interessant hierzu eine schon fünf Jahre später von Hahnzog gezogene Bilanz (SPD: Die Verfassungspartei… http://bayernspd-ltf.de/aktuell/details.cfm?ID=2843&nav=aktuell#.UMmk4lb0G1E). Schon damals bezeichnete er – zu Recht – die Ansiedlung des Datenschutzbeauftragten am Landtag als Erfolg, nach dem Benachteiligungsverbot für Behinderte in der Verfassung kam das Behindertengleichstellungsgesetz etc. Wenig konkret wird es aber zur Verankerung des Sports und des Tierschutzes als Staatsziele. Diese, so bilanziert Hahnzog, „führen immer wieder zu wichtigen und wertvollen Argumenten in der Diskussion im Bayerischen Landtag und finden Eingang in seine Entscheidungen“.

Ohne Zweifel wurden auch von der Verfassungsänderung ermöglichte Enquete-Kommissionen des Landtags erfolgreich aktiv. Doch besonders die SPD beklagt beispielsweise auch, dass Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Vorschläge der Kommission „Jugend in Bayern“ praktisch null Niederschlag fanden. Sehr umstritten ist auch der Erfolg des damals eingeführten Anhörungsrechts der Kommunen bei der Staatsregierung. Man denke aktuell daran, inwieweit deren Vorstellungen in Gesetzentwürfe der Staatsregierung zum Landesentwicklungsprogramm gelangten.

Angemessene Finanzausstattung der Gemeinden in guten und in schlechten Zeiten

Es dürfte deshalb nicht verwundern, dass auch die jetzt vorgesehene „angemessene Finanzausstattung der Gemeinden“ bei diesen zumindest auf Vorbehalte stößt. Dieser Anspruch ist ja, so die Gesetzesbegründung, „abhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates“. Die Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben richtet sich schon jetzt nach den konkreten finanziellen Möglichkeiten des Landes. Gefolgert schon aus der bestehenden Gesetzeslage wird, dass gerade in finanziellen Notzeiten Staat und Kommunen gleichermaßen finanzielle Einschränkungen hinnehmen müssen. Aber, so schließt der Verfassungsgerichtshof (VerfGH 60, 184/216f), andrerseits müsse sich auch eine günstige Entwicklung der staatlichen Einnahmen im kommunalen Finanzausgleich niederschlagen.

Befürchtung: Schuldenbremse schlägt bei Gemeindefinanzierung durch?

Dass diese Frage bei der insbesondere von den Liberalen geforderten Schuldenbremse auch in der Bayerischen Verfassung eine Rolle spielt, liegt ebenfalls auf der Hand. Nicht umsonst hatte gerade die SDP mit ihren erfolglosen Einwänden wegen möglicher negativen Folgen etwa im Sozial- oder Bildungsbereich gewarnt. Insbesondere diese aus Sicht der Grünen völlig unnötige – weil im Grundgesetz ausreichend verankerte – Schuldenbremse hatte ja zu deren Rückzug aus den Koalitionsgesprächen geführt. Sie wollten vielmehr klare Ausführungsbestimmungen mit dem Schließen von Schlupflöchern bei den Ausnahmeregelungen. In gar nicht so unähnliche Richtung gehen auch Überlegungen der SPD, wie Güller in der Debatte ankündigte.

Droht Verfassung „beliebig zu werden“.

Ob all diese zusammengefassten und andere Überlegungen und Einwände dazu führen können, von einer „Bankrotterklärung aktiver, gestaltender Politik“ zu sprechen sei hier dahingestellt. Nicht von der Hand zu weisen ist Stahls abschließende Warnung, dass letztlich die Verfassung dadurch geschwächt werde, wenn „ständig neue Staatsziele aufgenommen und unverbindliche programmatische Aussagen formuliert werden“. Die Verfassung drohe damit „beliebig zu werden“.

Europa: der Souverän soll über Hoheitsrechte seines Landes mitbestimmen können

Eine Sonderstellung unter den vorgesehenen Verfassungsänderungen nehmen zweifellos die Mitwirkungsrechte des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union ein. „Eine ganz neue Herausforderung, die unsere Verfassungsväter und -mütter noch nicht kannten“, wie Florian Streibl feststellte. Auch in der Verfassung verankert werden soll, dass die Staatsregierung den Landtag über Angelegenheiten der EU unterrichten muss. Wenn die Übertragung von Hoheitsrechten des Landes auf die EU bzw. die Gesetzgebungskompetenz des Landtags betroffen sind, kann die Staatsregierung insbesondere hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens im Bundesrat durch den Landtag gebunden werden. Eine auch verfassungsrechtlich (Konformität) durchaus strittige Angelegenheit. Aber vielleicht kann sich Bayern da auf einen alten Fuchs, den früheren führenden Europapolitiker Reinhold Bocklet (CSU), verlassen. Dessen Mitarbeit in der Verfassungskommission wurde von mehreren Rednern ausdrücklich gewürdigt. Vielleicht, wie Thomas Hacker anmerkte, als künftiger „Verfassungsvater“.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

13. Dezember 2012 um 12:43h

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