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Bayern hat/haben Besseres verdient

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Schon bei der Einladung rieb man sich erstaunt die Augen. Das Zentrale Orte System im Bayerischen Landesentwicklungsprogramm werde neu strukturiert, der Raum mit besonderem Handlungsbedarf erweitert. „Flächendeckende Daseinsvorsorge“, Erweiterung um neue Kategorien, Aufstufung einer Vielzahl von Orten: die kurz vor dem Termin auf den Redaktionstischen landende Einladung von „Heimat“minister Markus Söder strotzte nur so von Reizworten um wichtige Probleme der Landesplanung. „Bessere Konditionen in Bereichen von Breitband, Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung“ hieß es weiter – und das alles sollte am Tag vor den einsetzenden Pfingstferien auf den Tisch . . . gelöst vom Minister?

Man erinnere sich. Eines der groß angekündigten Vorhaben der vergangenen – wohlgemerkt nicht der laufenden – Legislaturperiode war die Neuordnung der Landesplanung. Mit Vehemenz sollten Landesentwicklungsplan (LEP) und anderes angegangen werden, und zwar schnell, um die den LEP umgebenden Fragen und Probleme aus dem nächsten, in vier, fünf Jahren anstehenden Wahlkampf herauszuhalten. Das Projekt wurde zwischen dem von FDP-Minister Martin Zeil geführten Wirtschaftsministerium, den CSU-geführten Ressorts und der Regierungsfraktion zerrieben. Man kann es als Rettungsanker für dieses Regierungsversagen sehen, dass es dann gegen Ende der Legislatur zu der Aufnahme des Ziels gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern in die Bayerische Verfassung kam.

Verfassungsauftrag – Heimatministerium – Enquete-Kommission

Und schnell ging es dann auch zu Beginn der jetzigen Legislatur ans Werk. Ein neues Heimatministerium sollte her. Letztlich wurde es dann dem Finanzministerium eingegliedert mit der Zuständigkeit für die Landesentwicklung. Parallel dazu richtete der Landtag, immerhin der Gesetzgeber, eine Enquete-Kommission ein, die sich für die kommenden zwei Jahre nach ihrer Konstituierung am 2. Oktober 2014 „intensiv mit der Thematik befassen und aufzeigen (soll), wie ein Auseinanderdriften Bayerns in stärker und schwächer werdende Gebiete verhindert bzw. gestoppt werden kann“. 13 Abgeordnete unter Vorsitz von Berthold Rüth (CSU) und seines Stellvertreters Dr. Christoph Rabenstein (SPD) sowie acht Experten stellen sich dieser Aufgabe, die insgesamt 110 Fragen umfasst. Bis zu einem Zwischenbericht im Landtags-Plenum am 24. November 2015 trat das Gremium 11 mal zusammen, meist – wie vorgesehen – nichtöffentlich.

Meinungsführerschaft: Landtag oder „staatliches Pendant“?

Man wird das bis dahin Vorliegende kaum als echtes Zwischenergebnis bezeichnen können, Meinungen im Einzelnen und die Gesamtbewertung driften offensichtlich noch stark durcheinander. Interessant war, dass es zumindest partiell starke Gegenmeinungen zu den Ergebnissen eines zwischenzeitlich vorgelegten „Heimatberichts“ von Minister Söder gegeben hatte und auch, dass nach wie vor ein längst überfälliger Raumordnungsbericht, von dem sich das Gremium Aufschlüsse erhoffte, nicht vorlag. Es ist auch des Nachlesens wert, was Söder damals im Plenum ausführte. Bei all seiner geäußerten Wertschätzung der Arbeit des Parlaments, drängt sich durchaus der Eindruck auf, dass er die Meinungsführerschaft woanders sieht: nämlich im Ministerium, dem „staatlichen Pendant“. Deutlich wird dies beispielsweise in seiner Stellungnahme zur Kritik aus dem Expertenbereich der Enquete-Kommission an seinem Heimatbericht. Dessen Zahlen stimmten selbstverständlich, denn sie stammten ja aus seinem Ministerium. Punkt.

Man kann mit gutem Recht einwenden, dass die Exekutive nicht einfach ein bis zum Herbst 2017 angekündigtes Ergebnis einer Kommission abwarten kann. Behördenverlagerungen, so unterschiedlich sie im Einzelfall auch bewertet sein mögen, sollten weiter vorangetrieben werden, Einzelentscheidungen müssen getroffen werden, auch ein schrittweises Vorgehen vor allem bei breiterem Konsens dürfte akzeptiert werden. Aber Grundlegendes wie die Frage der Zentralen Orte? Es kann kaum genügen, schnell noch die Regierungsfraktion zu informieren, es kann nicht offen bleiben, ob und inwieweit das Wirtschaftsministerium oder das Kabinett insgesamt involviert ist usw. Und vor allem; was sagen die kommunalen Spitzenverbände dazu?

Maly gibt Söder Bescheid –, und zwar deutlich

Der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, gab dem Minister prompt Bescheid. „Heimatminister Söder stellt das Gesetzgebungsverfahren auf den Kopf“ titelt eine Presseerklärung. Mit seinem Vorpreschen konterkariere Söder das in der Landesplanung vorgesehene Beteiligungsverfahren, und er versuche, die Kommunen und ihre Verbände vor vollendete Tatsachen zu stellen. „Statt der erforderlichen Neujustierung der Einstufungskriterien unter Einbeziehung von Experten werden in einem intransparenten Verfahren Entscheidungen getroffen.“ Damit brüskiere der Minister die Mitglieder des eigens eingesetzten Ausschusses im Landesplanungsbeirat.

Es geht um flächendeckende Daseinsvorsorge für die Menschen in Bayern

Maly machte auch deutlich, worum es geht: „Als Zentrale Orte wirken Städte und Gemeinden wie Knotenpunkte für ein Netzwerk, das den gesamten Freistaat zusammenhält und eine flächendeckende Daseinsvorsorge für die Menschen in Bayern sichert. Bayern braucht ein starkes Netz aus zentralen Orten. Städte und Gemeinden, die zentralörtliche Aufgaben übernehmen, sind Motoren der Entwicklung einer ganzen Region, sie sind Impulsgeber und Ankerpunkte, sie prägen das Lebensgefühl, sie stiften Identität und geben Heimat.“ Statt die Chance einer grundlegenden Überarbeitung zu ergreifen, seien nun nur Aufwertungsanträge bearbeitet worden. Die inhaltliche Kritik des Städtetag geht noch sehr in die Tiefe. Sie schließt sich auch an an die Kritik der Landtags-Opposition.

Opposition mal wieder einig

Nullnummer statt echte Fortschritte“, urteilt die wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Annette Karl. Und: „Söder verteilt Titel ohne Mittel“, wodurch zwar viele Orte formal aufgewertet würden – was sie allerdings kein Stück weiter bringe. Zudem zeigte sich Karl empört über die Ignoranz des Finanzministers gegenüber den betroffenen Kommunen und der Gesetzgebung: „Jetzt schon das Ergebnis der Gesetzgebung herauszuposaunen, obwohl die Städte und Gemeinden sich noch nicht zu dem Vorhaben äußern konnten und auch der Landtag damit noch nicht befasst wurde, ist unverschämt.” Auch laut Alexander Muthmann, stellvertretender Vorsitzender sowie Sprecher für Regionalplanung und Landesentwicklung der Freien Wähler im Landtag, schießt Söder „völlig am Ziel vorbei“. Martin Stümpfig von den Grünen befürchtet, „dass die nötige Lenkungsfunktion in Räumen mit besonderem Handlungsbedarf, die in Zeiten des demographischen Wandels wichtiger denn je wäre, verloren“ geht. „Söder schüttet mit einem Füllhorn wahllos die begrenzten Mittel aus – ohne sich Gedanken um eine echte Förderung des ländlichen Raumes, Chancengerechtigkeit und eine gerechte Verteilung der Investitionsmittel zu machen.“

Gleichwertige Lebensverhältnisse“ im Interessenskonflikt Einzelner

Stümpfig kritisiert auch das Vorgehen als „One-Man-Show“ von Markus Söder: „Wieder einmal ist die Publicity wichtiger als das Beteiligungsverfahren.“ Und man kann sich schon seine Gedanken darüber machen, dass beim Versand der Söder-Einladung den Redaktionen längst eine Einladung von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zum selben Zeitpunkt vorlag. Die Konkurrentin Söders um die Seehofer-Nachfolge wollte sich ausführlich zu ihrer Wirtschaftspolitik äußern. – Fünf Jahre geriet die Frage der „gleichwertigen Lebensverhältnisse in ganz Bayern“ in die Mühlen des Koalitionsstreits zwischen FDP und CSU. In der laufenden Legislatur dreht sich das Ganze darum, wer innerhalb der reinen CSU-Staatsregierung die Kompetenzen hat, und wer wann was zu einem für ihn möglichst günstigen Zeitpunkt im Gerangel um Fragen der Seehofer Nachfolge glaubt sagen zu müssen. Es ist auch eine Frage der Teamfähigkeit – und des Teamchefs. Bayern hat/haben Besseres verdient.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

13. Mai 2016 um 08:51h