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Fragerecht von Abgeordneten: Erfolgreich klagende SPD spricht von „historischem Urteil“

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Die Staatsregierung muss Fragen der SPD zu Zahlungen an engste Familienangehörige von Regierungsmitgliedern im Rahmen der sog. Verwandtenaffäre des Landtags beantworten. Dies entschied am gestrigen Donnerstag der Bayerische Verfassungsgerichtshof (Az Vf. 53-IVa-13). Dies betrifft die Regierungsmitglieder Dr. Ludwig Spaenle, Helmut Brunner, Franz-Josef Pschierer, Bernd Sibler und Gerhard Eck. Vorherige Nachfragen des Gerichts hatten schon erkennen lassen, in welche Richtung ihr Urteil gehen würde. Die Klarheit des Richterspruchs überraschte dennoch. Die Richter sahen, in Anlehnung an frühere ebenfalls Klagen der SPD-Landtagsfraktion in weiten Teilen Recht gebenden Urteile, das in der Verfassung verankerte Fragerecht der Abgeordneten durch die Staatsregierung verletzt.

Landtagspräsidentin pocht zeitgleich auf Stärkung der parlamentarischen Kontrolle

Der Vorgang fügt sich fein zusammen mit einem ebenfalls am gestrigen Tage im Münchner Merkur veröffentlichten Interview mit Landtagspräsidentin Barbara Stamm Diese hatte darin von der Exekutive auch bei der Behandlung von Fragen aus dem Parlament mehr Respekt eingefordert. Die Präsidentin, die sich selbst in Sachen Transparenz und dem Fragerecht – in diesem Fall der Presse – im Verlauf der sog. Abgeordnetenaffäre schwer getan hatte, kann mit ihrer Absicht, die Abgeordneten mit mehr finanziellen Zuwendungen für wissenschaftliche Mitarbeiter das Parlament in seiner wichtigsten Rolle, der Kontrolle der Staatsregierung, ungemein stärken. Und zu den wirksamsten Instrumenten zählt unbestritten das Fragerecht und dessen Durchsetzung.

Durchsetzung des Fragerechts stand am Anfang des Aufstiegs von Rinderspacher

Es kommt aus Sicht des Autors nicht von ungefähr, dass gerade ein erstes Urteil der bayerischen Verfassungsrichter in Sachen Fragerecht der damaligen Staatsregierung zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode einem heftigen Seitenhieb gleichkam. Genau so wie es die steile Karriere des damals fragestellenden neuen Landtagsabgeordneten Markus Rinderspacher begründete. Die jetzige Entscheidung könnte darüber hinaus einer Zäsur im Kräfteverhältnis zwischen Parlament und Exekutive begründen. Dies werden eine penible Sichtung der Begründungen und die später ausgeübte Praxis ergeben. Die Richter selbst weisen dem Sachverhalt und somit der zu treffenden und getroffenen Entscheidung „erhebliche verfassungsrechtliche Bedeutung“ zu.

Es waren im nunmehr behandelten Fall neben dem jetzigen Fraktionschef Rinderspacher die vier weiteren Abgeordnete der SPD Natascha Kohnen, Volkmar Halbleib, Inge Aures und Isabelle Zacharias, welche am 3. Juni 2013 in Anfragen an das Plenum Auskunft über die Beteiligung von namentlich benannten Regierungsmitgliedern bzw. deren engsten Familienangehörigen in der Verwandtenaffäre des Landtags erheischten. Eine Beantwortung war anschließend von der Staatsregierung verweigert worden u.a. mit dem Argument, es habe sich um Zahlungen aus der Abgeordnetentätigkeit der Betroffenen gehandelt. Diese bewegten sich im Rahmen des „klassischen Parlamentsbinnenrechts“ – und damit auch unter den (s.o.) datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Landtags. Der Fall sei damit außerhalb der Zuständigkeit der Staatsregierung bzw. von Staatskanzlei und Regierungschef angesiedelt.

Leitsätze des VGH stellen auch Vorbildfunktion von Kabinettsmitgliedern heraus

Die Verfassungsrichter haben hierzu Leitsätze entwickelt, die das Urteil aus dem Bereich einer reinen Sachthematik reißen. Demnach ist das Rechtsschutzinteresse der Kläger an einer Entscheidung keinesfalls dadurch entfallen, dass zwischenzeitlich ein neuer Landtag gewählt wurde. Es gehe um die objektive Klärung der verfassungsrechtlichen Frage. Auch könnten Verhaltensweisen von Regierungsmitgliedern, „die keinen direkten Bezug zum Aufgabenbereich und zur Tätigkeit eines Regierungsmitglieds aufweisen“, unter bestimmten Voraussetzungen Gegenstand des parlamentarischen Fragerechts sein. So, wenn wenn sich aufgrund der öffentlichen Diskussion über dieses Verhalten Auswirkungen auf die Amtsführung ergeben können oder wenn die Eignung für das Amt wegen der Vorbildwirkung in der Öffentlichkeit in Frage steht. Und drittens stellen die Verfassungsrichter grundsätzlich fest, dass die gestellten Fragen Sachverhalte betreffen, die dem Verantwortungsbereich der Staatsregierung zuzuordnen seien.

Inwieweit sich die Richter vom Vortrag der Kläger, dass zum einen hinter den Fragen das moralische Verdikt des Ministerpräsidenten stehe, dass man „so etwas“ nicht tue, und zum anderen der Regierungschef die „Personalhoheit“ übernommen habe, in dem er nach eigenen Worten die Verwandtenaffäre „sofort beendet“ habe, wird aus dem Urteil nicht ersichtlich. Die Begründung des VGH stellt mit vorherigem Verweis auf seine ständige Rechtsprechung zur Auskunftspflicht darauf ab, dass die Kabinettsmitglieder zum Zeitpunkt der Anfragen der Staatsregierung angehörten. Es stehe damit außer Frage, dass der der Verantwortungsbereich der Staatsregierung in personeller Hinsicht betroffen ist.

Verwandtenaffäre: Rückschlüsse auf Umgang mit Steuergeldern zulässig

In sachlicher Hinsicht stimmt das Gericht allerdings zu, dass der Vorgang zum klassischen Parlamentsbinnenrecht zähle. Ein kleiner Pyrrhussieg, wenn man so will – mit großen Auswirkungen. Denn das begründe nicht den Hinweis auf fehlende Zuständigkeit. Dies schon allein deshalb, weil Regierungsmitglieder für die Regierungspartei(en) ins Parlament gewählt würden. Hinzu komme, dass aus dem Verhalten im Zusammenhang mit den Regeln zur Beschäftigung von Familienangehörigen Rückschlüsse auf die persönliche Einstellung zum Umgang mit öffentlichen Geldern gezogen werden können. Dies, so schließen die Verfassungsrichter diesen Aspekt ab, habe auch Auswirkungen auf die Eignung für ein Regierungsamt.

Schlussendlich begrenzt sich laut Urteilsbegründung eine Beantwortung nicht auf in Akten enthaltene Informationen: „Das im Bereich der Exekutive präsente Wissen ist nicht auf die Gesamtheit der vorhandenen Dokumente begrenzt, sondern umfasst auch das persönliche Wissen der handelnden Personen, jedenfalls soweit es, wie im vorliegenden Fall, Bezug zur amtlichen Sphäre aufweist.“ Ggf. müssten Informationen bei Betroffenen eingeholt werden.

Staatsregierung will richterliche Entscheidung demnächst umsetzen

Die Staatsregierung hat schnell reagiert. Staatskanzleiministerin Christine Haderthauer erklärte per Pressemitteilung, dass die Staatsregierung die Entscheidung respektiere, sie demnächst umsetzen und hierzu zunächst die erforderlichen Informationen bei den betroffenen Kabinettsmitgliedern beschaffen werde. Ihre so etwas wie nach Erleichterung klingen sollende Feststellung, dass die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs nun Klarheit über den Umfang der Auskunftsrechte und Auskunftspflichten bringe, wird vermutlich nicht unkommentiert bleiben. Denn das Urteil liest sich nach einer Reihe vorher getroffener „Wegweisungen“ eher wie „wir haben die Faxen nun dicke“.

Regierung mauert, Richter rüffeln“ – Bause erkennt im Ritual „kafkaeske Züge“

Ähnlich sieht es wohl auch die Grünen-Fraktionssprecherin Margarete Bause, die auch von ihrer Fraktion erstrittene einschlägige Urteile bestätigt sieht: „Dieses wiederkehrende Ritual – Regierung mauert, Richter rüffeln – ist ein großes Ärgernis und trägt fast schon kafkaeske Züge.“ Die von Horst Seehofer oft verkündete neue Transparenz seiner Politik ende regelmäßig da, wo die Machtinteressen der CSU bedroht seien. Prof. Dr. Michael Piazolo von den Freien Wählern betrachtet dieses „richtungweisende Urteil“ nüchtern-optimistisch. Es stärke insbesondere die Kontrollfunktion der Opposition und erleichtere damit insgesamt die parlamentarische Arbeit. Piazolo rechnet mit grundlegenden Auswirkungen auf die Antwortpraxis der Bayerischen Staatsregierung und verbindet damit auch die Hoffnung, dass dadurch das Verhältnis Staatsregierung zur Opposition generell positiv beeinflusst wird.

SPD: Geradezu historisch, dass Eignung von Ministern dem Fragerecht unterliegen

Die SPD feiert ein „historisches Urteil in der Verwandtschaftsaffäre“. Das Urteil, so Rinderspacher, sei ein Paukenschlag: „Mit Donnerhall hat das Gericht die Staatsregierung in die Schranken gewiesen und das Auskunftsrecht der Landtagsabgeordneten gestärkt. Das ist ein fulminanter Erfolg der SPD, die das Verhalten der Staatsregierung nicht einfach hingenommen, sondern sich gewehrt hat.“ Geradezu historisch wertet der Vorsitzende der SPD-Fraktion die Feststellung der Verfassungsrichter, dass auch die Eignung von Personen, ein Ministeramt wahrzunehmen, dem Fragerecht der Abgeordneten unterliegt. „Diese Entscheidung wird in Zukunft größte Bedeutung bei der Kontrolle der Regierung durch den Landtag haben. Das ist ein Meilenstein für die parlamentarische Demokratie.“

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

22. Mai 2014 um 17:27h