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Landeserziehungsgeld beschlossen: heftiger Widerstand erwartbar

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Das Bundesverfassungsgericht hat ein Lieblingsprojekt der Bayern-CSU gekippt. Die Staatsregierung findet und geht einen eigenen Weg. Alles normal im Prinzip. Auch dass die oppositionellen Parteien, in- und außerhalb des Parlaments, sich geschlossen gegen den bayerischen Sonderweg ausspricht, ist nichts was an von der CSU gemauerten Grundfesten rüttelt. Vielleicht eher die schleichende Überlegung, dass das alles eigenes Geld kostet, und wir in Zeiten leben, in dem auch das über Bayern ausgebreitete Füllhorn versiegen könnte. Oder auch sich gegen das bayerische Betreuungsgeld aussprechende Verbände wie der Landesverband des Katholischen Deutschen Frauenbundes. Und solchen Organisationen wird der gestern vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf zur Verbandsanhörung vorgelegt, bevor dann der mit einer satten CSU-Mehrheit ausgestattete Landtag über den Entwurf entscheidet.

Nahtloser Übergang“ von Bundes- zur Landesleistung

Beschlossen wurde, auf Vorschlag von Bayerns Familienministerin Emilia Müller wie es so schön formuliert wird, „ein nahtloser Übergang von der bisherigen Bundes- zur Landesleistung“. Was keineswegs heißt, dass Bayern das alles selbst bezahlen muss. Denn der Bund hat zugesichert, dass die Länder die bisher für diese Bundesleistung verwendeten Gelder zur Verfügung gestellt bekommen, um es in die Kindererziehung zu stecken. Denn das Wie, so haben die Verfassungsrichter festgestellt, ist Ländersache. Trotzdem kalkuliert die Staatsregierung mit knapp 100 Millionen Euro, die ab Beginn des nächsten Jahres zusätzlich aus dem Landeshaushalt aufgewendet werden müssen. Doch nach 2018 fallen die Bundesmittel weg und Bayern wird geschätzt 230 Millionen Euro jährlich aufwenden müssen.

Der Entwurf soll möglichst noch in diesem Jahr verabschiedet werden, so dass der leistungsempfangende Bürger davon gar nichts merkt. Familien erhalten im Anschluss an das Elterngeld für die Betreuung ihrer ein- und zweijährigen Kinder 150 Euro längstens für 22 Monate weiter, sofern sie sich dafür entscheiden, die Betreuung ihrer Kinder selbst privat und nicht über einen – staatlich geförderten – Krippenplatz organisieren wollen. Eine „echte Entscheidungsfreiheit“ bleibe damit gewahrt, betont Müller. „Eltern, die sich für die Krippe oder Tagesmutter entscheiden, kommt die enorme öffentliche Förderung dieses Betreuungsplatzes zu Gute. Die anderen Eltern profitieren vom Betreuungsgeld.” Über 73 Prozent der Eltern in Bayern mit ein- und zweijährigen Kindern hätten die bisherige Bundesleistung beansprucht. Im zweiten Quartal 2015 waren es demnach knapp 116 000 Leistungsbezüge, führte die Ministerin weiter aus.

Gesundheitsprävention und Vorwohndauer

Ein völlig nahtloser Übergang wird es dem Entwurf zufolge jedoch nicht sein. Der Bezug ist gebunden an die Wahrnehmung der Früherkennungsuntersuchung und daran, dass die Eltern seit mindestens 12 Monaten in Bayern leben. Voraussetzungen also, wie sie auch für das Landeserziehungsgeld gelten.

SPD: Rinderspacher fordert „ verlässliche Strukturen der Kinderbetreuung“

Ziemlich nahtlos weiter geht die Diskussion jedoch, wie sie schon beim auf Druck der CSU durchgesetzten Bundesbetreuungsgeld geführt wurde. Jedoch mit dem stärkeren Akzent auf bayerische Verhältnisse. 20000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren fehlen in Bayern, rechnet die Generalsekretärin der bayerischen SPD, MdL Natascha Kohnen, vor. Damit sei Bayern „hinten dran“ im Bund. Es sei an der Zeit, „den Familien, den Berufstätigen und Alleinerziehenden in Bayern im Alltag wirklich zu helfen“. Denn eine echte Wahlfreiheit gebe es nur, wenn auch ausreichend Kita-Plätze vorhanden seien. Nur dann bestehe die Chance, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Dafür seien die freien Bundesmittel zu verwenden. Auch die SPD-Landtagsfraktion beklagt eine „falsche Weichenstellung“. Fraktionschef Rinderspacher: Bayerns Eltern wollen verlässliche Strukturen der Kinderbetreuung.“ Die tatsächliche Betreuungsquote, so assistiert die familienpolitische Sprecherin Doris Rauscher, „beträgt derzeit 28 Prozent, der Betreuungsbedarf liegt jedoch bei 41 Prozent.“

Unisono auch die Grünen im Landtag. Den Einsatz der frei gewordenen Mittel für eine Qualitätsoffensive in den bayerischen Kinderbetreuungseinrichtungen mit besseren Betreuungsschlüsseln und kleineren Gruppen, verlangt Fraktionsvorsitzende Margarete Bause. Das Ende 2014 gestoppte Landesprogramm zum Kinderkrippenausbau müsse wieder aufgenommen werden.

Landesfrauenrat positionierte sich klar gegen Betreuungsgeld

Dieser Beschluss der Staatsregierung wird von den bayerischen Frauen nicht mitgetragen.“ Damit verweist die frauenpolitische Sprecherin der Freien Wähler im Landtag, Eva Gottstein, auf das Mitgliedermagazin „engagiert“ des Katholischen Deutschen Frauenbundes und auf den Bayerische Landesfrauenrat. Dieser hatte direkt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 23. Juli mit einem Eintrag auf Facebook unter „Betreuungsgeld – quo vadis?“ klar Stellung bezogen. Das Betreuungsgeld habe Anreize geschaffen, familienbedingte Auszeiten aus dem Beruf zu verlängern, die in der Regel von Frauen erbracht werden. „Diese Einbußen beim Einkommen, aber auch in der sozialen Absicherung sind angesichts steigender Scheidungszahlen, der Reform des Unterhaltsrechts und der wachsenden (Alters-)Armut gerade von Müttern bedenklich.“ Der Bayerische Landesfrauenrat fordere weiterhin, „dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den qualitativen und quantitativen Ausbau von Kindertagesstätten erleichtert wird. Denn nur so wird ein Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit geleistet!“

LINKE: Geld kommt insbesondere den finanziell besser gestellten Familien zugute

Das ist deutlich. Und es zeigt sich ein weitgespannter einender Bogen bis hin beispielsweise zu der Grünen Jugend Bayerns. Deren neu gewählte Frauen- und Genderpolitische Sprecherin Theresa Eberlein spricht von einem „fatalen Signal“, das „jegliche erreichte Gleichberechtigung und Chancengleichheit“ unterlaufe. Die Gelder seien falsch investiert. „Denn das Betreuungsgeld ist nur für Geringverdiener*innen im klassischen Familienbild interessant und schafft dabei völlig falsche Anreize. Alleinerziehende hingegen werden dabei völlig im Regen stehen gelassen.“ Auch für den LINKE-Landesvorsitzenden Xaver Merk handelt es sich um ein Landeserziehungsgeld, „das insbesondere den finanziell besser gestellten Familien zugutekommt“.

Immerhin ließe sich daran noch justieren. Vielleicht eine der berühmten Stellschrauben, von denen Finanzminister Markus Söder so gerne spricht. Ob er sich allerdings traut, das Betreuungsgeld vom Einkommen abhängig zu machen? Anderes ist gar nicht so recht zur Sprache gekommen. Nämlich anstatt breit zu streuen, zum Beispiel dort anzusetzen, wo ein Betreuungsgeld tatsächlich und nicht nur in Einzelfällen vonnöten erscheint. Nämlich bei bestehendem Mehrbedarf an elterlicher Zuwendung und Fürsorge beispielsweise bei länger anhaltenden oder chronischen Krankheiten der Kinder.

ÖDP auch dagegen – geht aber über Kabinettsbeschluss hinaus

Auch gegen den vom Kabinett vorgezeicheten bayerischen Weg, aber mit deutlich anderer Tendenz, hatte sich schon vor der Kabinettssitzung die bayerische ÖDP ausgesprochen. Vorsitzender Urban Mangold hatte an Ministerpräsident Horst Seehofer appelliert, „nicht auf halber Strecke stehen zu bleiben“. Das vom Bundesverfassungsgericht gekippte Betreuungsgeld des Bundes sollte in Bayern deutlich erhöht und zu einem echten Erziehungsgehalt weiter entwickelt werden. Die ÖDP wird hierfür eine landesweite Petitionsaktion starten, kündigte Mangold an. „Wer familiäre Erziehungsarbeit leistet, tut enorm viel für die Gesellschaft“.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

06. Oktober 2015 um 15:36h

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