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Landtagsmehrheit weiter gegen Pflegekammer

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Eine weitgehend stabile Mehrheit aus CSU und SPD wandte sich am Mittwoch Abend weiter gegen einen von den Freien Wählern eingebrachten und seitens der Grünen unterstützten Antrag zur Einrichtung einer Pflegekammer in Bayern. So klar dieses Ergebnis erscheint, so offensichtlich wurde in der Debatte, dass nach wie vor auch in den Reihen dieser Mehrheit erheblicher Diskussionsbedarf zu dem als Alternative geplanten Gesetzentwurf zur Einrichtung eines „Pflegerings“ in Bayern besteht. Auch das Meinungsbild unter den Betroffenen selbst bleibt unübersichtlich. Eine knappe Mehrheit (51 %) unter den Pflegekräften hatte sich in einer früheren Umfrage für die Einrichtung einer Kammer ausgesprochen, doch diese Umfrage hatte auch ergeben, dass in den Reihen der Betroffenen genau so starke Bedenken gegen zwangsläufige Bestandteile der Kammer – nämlich eine Pflichtmitgliedschaft und Mitgliedsbeiträge –  bestehen.

Allerdings scheint sich das Meinungsbild unter den Pflegekräften zugunsten der Kammerlösung zu ändern. Diesen Eindruck jedenfalls konnte man auch vom Verlauf einer Demonstration vom Dienstag in München gewinnen, zu der die Bayerische Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Pflegeberufe (BAY.ARGE) aufgerufen hatte. Schwer wiegt auch, dass „die Lehre“, also ein Zusammenschluss der einschlägigen Dekanate an den Hochschulen, sich klar gegen den „Pflegering“ ausspricht und auch führende Vertreter von Wohlfahrtsorganisationen, die sich gegen eine Kammer aussprechen, umschwenken. Einigkeit in Politik, Wissenschaft und Praxis besteht nur in einem: Die Pflege braucht eine starke Stimme.

CSU: Bayern isoliert sich nicht, es kann Vorbild mit seiner „Pflege“-Lösung sein

Das Problem darf man nicht unterschätzen. Angesichts der demographischen Entwicklung gewinnt die Pflege und damit auch die Form einer sie vertretenden und wichtige Richtlinien von der Gesetzgebung bis zur Ausbildung (mit-)bestimmenden Organisation immens an Bedeutung. Die Frage dieser Organisationsform ist Ländersache und seit Jahren quält man sich von Kiel bis zum Saarland von Entscheidung zu Entscheidung. Als erstes Bundesland hat das von Rot-Grün geführte Rheinland-Pfalz eine 2016 startende Kammer auf den Weg gebracht. Andere vor allem SPD-dominierte Länder tendieren eher in dieselbe Richtung. Vielleicht auch eine Frage der Alternative. Und hier, so brachte es in der gestrigen Debatte der CSU-Vertreter Klaus Holetschek auf den Punkt: Bayern isoliere sich mit dem von Ministerin Melanie Huml eingebrachten Vorschlag nicht, sondern „ein guter bayerischer Vorschlag kann auch ein Vorbild für die Bundesebene sein“.

SPD: Pflege-Organisation muss auch „Pressure-Group“ werden

Das müsste allerdings etwas wirklich Wegweisendes sein. Es müsste den allgemeinen Wunsch, eine Organisation zu schaffen, die auf Augenhöhe mit anderen den Pflegeberuf tangierenden Berufsgruppen verhandeln kann, und die vorgebrachten Nachteile einer Kammer aus dem Wege räumt. Und da alles, was dazu bisher aus Sicht der mit Meinungs-führenden SPD-Abgeordneten Kathrin Sonnenholzner (Vorsitzende des Pflege- und Gesundheitsausschusses im Landtag und stv. Vorsitzende des Landes-gesundheitsrats) nicht ausreicht, müsste die neue Institution auch als Pressure Group fungieren. Das heißt, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Wertschätzung, „die sich auch auf dem Konto sehen lässt“. Denn beides sei das eigentliche Problem der Pflegeberufe.

Freie Wähler und Grüne auf Linie mit führender Pflege-Arbeitsgemeinschaft

Im Parlament ist man noch weit davon entfernt, unter einen solchen Hut zu kommen. Die Grünen mit ihrem pflegepolitschen Sprecher Ullrich Leimer und die Freien Wähler mit Dr. Peter Bauer wissen die BAY.ARGE hinter sich bzw. umgekehrt. Die SPD kämpft bislang ohne wesentliche Argumente gegen die Frage, warum sie sich nicht dem Meinungsbild anderer SPD-Fraktionen anschließt. In bisherigen Debatten hatte Sonnenholzner sich gegen die Kammer ausgesprochen aber beim „Pflegering“ bis zur Vorlage eine Gesetzentwurfs auf Abwarten gesetzt verbunden vor allem mit dem Diktum, dass gesichert sein müsse, dass die Arbeitgeber in der neuen Berufsorganisation nichts zu zu Sagen haben. Nachdem deutlicher wurde, dass die CSU-Fraktion dieser Forderung tendenziell folgen wird und auch Huml darauf zu reagieren scheint, wandelt sich offenbar die Widerstandslinie. Ohne bislang wirklich eigene inhaltliche Lösungsvorschläge zu machen, fordert die SPD-Expertin endlich die Vorlage eines Entwurfs, über den man dann diskutieren könne.

Geordnetere CSU signalisiert Änderungsbereitschaft

Die CSU, die anfänglich vor allem mit innerfraktioneller Zerrissenheit in der Frage aufgefallen war, scheint die Reihen geordnet zu haben. Im Vordergrund stehen zwei Abweichler von der Regierungslinie; darunter mit Hermann Imhof der Pflegebeauftragte der Staatsregierung, der sich ganz klar für eine Kammer ausspricht. Dass er weder bei der Demo in München noch bei der Plenardebatte auftrat oder auftreten konnte/durfte/sollte, gibt allerdings zu denken. Daneben steht der frühere Minister und Sprecher der Senioren-Union Thomas Goppel. Im direkten Gespräch vermittelte er klarst den Eindruck eines Kammerbefürworters, Dies u.a. mit dem beachtlichen Argument, dass, wenn die Arbeitgeber für dien „Pflegering seien, etwas faul daran sein müsse. Bei einer früheren Behandlung des Freie Wähler-Antrags hatte er vor der Abstimmung im Ausschuss den Saal verlassen. Als Redner am Dienstag auf dem Odeonsplatz lautete seine Botschaft „Pro Kammer“. Zum Abschluss der Plenardebatte gab er eine Persönliche Erklärung zu seinem Abstimmungsverhalten (Enthaltung) ab. Die Diskussion belege, dass das Thema noch nicht entscheidungsreif sei. Weder die Kammer noch die Vorschläge der Ministerin hätten bisher „die gesetzliche Figuration erreicht, um als tragfähiges Konzept“ für die weitere Behandlung und die Zukunft gelten zu können. Wesentliche Frage seien ungeklärt, deshalb könne man respektive er sich heute nicht entscheiden. Kollege Holetschek habe Änderungsbereitschaft seiner Fraktion signalisiert. Er sei bereit, dazu beizusteuern. Goppel erhielt Beifall seiner Fraktion, wobei nicht klar wurde, ob dies dem Inhalt oder, dass er sich nicht gegen die Fraktion gestellt hatte, geschuldet war.

Getrieben oder selbstbestimmt – Rolle der Ministerin nicht klar

Goppels Beitrag machte nochmals deutlich, dass sich die Fraktion bewegt, vielleicht sogar die Ministerin ohne sie zu devaouieren treibt. Man sieht es beispielhaft daran, wie mit einem wesentlichen Argument der BAY.ARGE umgegangen wird. Die trägt u.a. vor, dass ohne Kammer und ohne Zwangsmitliedschaft nie verlässlich festzustellen wäre, wie viele Pflegekräfte wo und wie im Lande tätig seien. Mithin könne man jede Bedarfsberechnung und anderes vergessen. Daran, so verkündeten Holetschek und die Ministerin, werde gearbeitet. Melanie Huml ist demnach im Gespräch mit dem Datenschutzbeauftragten, wie man diese Hürde umschiffen und eine „Registrierung hinbekommen“ könne. Auch der weitere Diskussionsbeitrag der Ministerin bekundete zumindest Gesprächsbereitschaft. Es klang zumindest so, als ob schon der fertige Gesetzentwurf alternativlos in der Schublade läge.

Wie es weitergeht? Heute findet eine Mitgliederversammlung der BAY.ARGE statt, zu der auch die Ministerin geht. Die Interessenvertretung hatte bereits angekündigt, den weiteren „Dialog“ zu verlassen und auch, dass seine Verbände und Mitglieder dem „Pflegering“ nicht beitreten würden. Da wird man sehen oder weitersehen. Huml jedenfalls will die BAY.ARGE für eine weitere Zusammenarbeit gewinnen.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

30. Oktober 2015 um 15:15h