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„Grün pur“ – Die Grünen in Bayern vor einem Neuanfang

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Gestern wurde das erste Gruppenbild der neuen Grünen Fraktionsspitze geschossen. Es sieht nicht nur traut aus, wie da Jung und Alt zusammenstehen, es wirkt auch wie eine Synthese aus wohlmeinenden Ratschlägen, die während der dreitägigen Klausur in Fürstenfeld zusammengemixt wurde. An der Spitze die erfahrene Margarete Bause, die jeder parlamentarischen Debatte gewachsen ist. Gleichberechtigt neben ihr der junge – und hungrige – Ludwig Hartmann, der innerhalb einer Legislatur mit seinem Fachwissen manche Runde bis in den Energieausschuss hinein aufmischte und nebenbei fast erfolgreich seine Kandidatur zum Landsberger OB durchzog und sich landesweit als Sprecher von NOlympia einen Namen machte. Hartmann hatte auch schon seine früh in Erwägung gezogene Kandidatur mit der Überlegung oder Forderung verknüpft, dass dem Führungsduo Stellvertreter zur Seite gestellt werden, um eine notwendig gewordene Entscheidung auf Führungsebene bei Uneinigkeit nicht nur vom Votum des/der Parlamentarischen Geschäftsführers/in abhängig zu machen („da steht der Martin oft da, und kann nichts tun“).

Interessante Neu-Abgeordnete in der Fraktionsspitze

Die Fraktion wählte nun ein Stellvertreterpaar aus Landtagsneulingen, die aber beide schon eine auffällige grüne Vergangenheit haben. Katharina Schulze, übrigens mit 28 Jahren zweitjüngste Landtagsabgeordnete, führte zwei Jahre die Grüne Jugend München, ist nun Vorsitzende der Münchner Grünen, Mitglied des Parteirats, Sprecherin mehrerer NGOs wie „München gegen die dritte Startbahn“ oder neben Hartmann von „NOlympia“. Verena Osgyan (geb. 1971 in Roth) vertritt den Stimmkreis Nürnberg-West und war grüne Spitzenkandidatin der nunmehr ganz stark mit drei im Landtag vertretenen Abgeordneten der Grünen in Mittelfranken. Sie wird vorgestellt als „profilierte Netzpolitikerin und engagierte Bürgerrechtlerin“. Sie ist die einige in diesem Führungsquartett, die nicht aus Oberbayern kommt.

In die Fraktionsspitze gehört jedoch auch die Oberfränkin Ulrike Gote, die für die Grünen als Landtags-Vizepräsidentin nominiert wurde. Gote kann ungemein ausgleichend wirken. Den neuen präsidialen Hintergrund wird sie zu nutzen wissen bei ihrer Basisarbeit, wie sie sie schon für die Grünen z.B. bei den Kirchen geleistet hatte. Ihr bisheriges Fraktionsamt als Parlamentarische Geschäftsführerin übernimmt Thomas Gehring. Der aus dem Allgäu stammende Bildungspolitiker bringt dafür auch die notwendige parlamentarische Erfahrung mit.

Optimale Lösung – aber Tickets reichen nur bis Zwischenwahlen

Personell scheinen die Grünen in ihrer Spitze eine optimale Lösung gefunden zu haben. Sie berücksichtigt angemessen das Pattverhältnis (9:9) zwischen Alten und Hinzugekommenen, erscheint als etwas oberbayernlastig und größere Wunden scheinen auch nicht geschlagen worden zu sein. Möglicherweise spielt auch ein zukunftsgerichteter Blick auf die Zwischenwahlen in zwei Jahren eine Rolle. Hartmann muss sich bewähren und Bause – Claudia Stamm – wird aufpassen müssen. Schon vor vier Jahren hatte sie sich mit nur einer Stimme Mehrheit wieder durchsetzen können.

Landesverband: Die Scherben muss Nachfolgerin auflesen

Nicht zu kitten ist wohl der Bruch zwischen Fraktion und Landesverband. Das entstandene Getwittere zwischen Stamm und dem neu in den Bundestag gewählten Landesvorsitzenden Dieter Janecek erinnert zwar noch nicht an Boris Becker/Oliver Pocher, doch vor allem täte man damit „der Claudia“ sehr Unrecht. Janecek ist noch bis 2014 gewählt. Die zweite Landesvorsitzende, die den Landtag verlassende Theresa Schopper tritt zurück. So wird es ganz auf deren Nachfolgerin ankommen, die Scherben aufzulesen.

Über die künftigen Arbeitsschwerpunkte berät zur Zeit die Fraktion. Die Spitze will sich hierzu heute Nachmittag in einer Pressekonferenz äußern. Es läuft wohl auf eine Rückkehr zu „Grün pur“ hinaus, wie es der „Senior“-Abgeordnete der Fraktion, Dr. Sepp Dürr, in einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“ formulierte. Schon Bause hatte in den letzten Tagen wiederholt darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen die Atomkraft – siehe Grafenrheinfeld – keineswegs beendet sei. Aus Sicht der Grünen ist es zudem geradezu fahrlässig Bundes- und Staatsregierung die Energiewende ohne Oppositionsdruck zu überlassen.

Zu beackernde Brachen: Kunst, Kultur und Bürgerrechte

Die Wirtschaft boomt in Bayern aber Kunst- und Kulturschaffen vor allem in der Fläche scheinen mangels Unterstützung zu verlottern. Dem scheidenden Fachminister Wolfgang Heubisch war und ist zwar Sinn für beides keineswegs abzusprechen, doch zum einen ist „ohne Moos nichts los“ und vor allen auch nicht ohne Ideen und grundlegende Basisarbeit, wie sie Dürr in die vergangene Legislaturperiode eingebracht hatte. Die Netzpolitik – eine Brache im Landtagsgeschehen – soll vermutlich Verena Osgyan beackern. Die Kommunikationsdesignerin wird mit viel Vorschusslorbeeren bedacht, und es gibt viel Anlass, gespannt auf ihre Arbeit zu blicken. Letztlich kann diese entscheidend sein, die potentiellen Wählerschichten der ziemlich am Boden liegenden Piraten zu entern. Ein Großteil von Ihnen gilt eh als „Fleisch vom Fleische“ der Grünen. Das gilt in vielerlei Wechselbeziehung auch zu den LINKEN.

Als drittes Feld wird die Stärkung der Bürgerrechte vorangetrieben werden. Manche Anregung werden die Grünen, so komisch es klingt, aus einem von der FDP in Bayern verabschiedeten Grundsatzpapier finden. Dieses verschimmelte in der Schublade und war dem FDP-Wirtschaftsmotor Bayern geopfert worden. Stärkung der Verbände über die vorgeschrieben Anhörungen der kommunalen Spitzenverbände hinaus und vieles andere findet sich darin. Über die Einbeziehung von Vereinen oder NGOs, das Hineinhören ins Ehrenamt, die Nutzung der bestehenden Bürgerbeteiligungen bis zum Volksentscheid kann auch die Wahlbeteiligung fördern. Dieses weite Betätigungsfeld wird wohl Katharina Schulze federführend überlassen werden.

Die Grünen stehen vor einem Neuanfang – und das ist ja schon mal nichts Schlechtes.

Veröffentlicht von Helmut Fuchs

02. Oktober 2013 um 08:38h

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